- Startseite
- Architektur in Indien
- FILM IN INDIEN und BOLLYWOOD
- Inder in Deutschland
- INDIEN UND CHINA - BEGEGNUNGEN AUF DER SEIDENSTRASSE
- Indische Diaspora in Afrika
- Indische Emigranten in Europa und Nordamerika
- Kasten- und Klassenstruktur Indiens im Umbruch
- Malerei in Indien
- MEDIZIN IN INDIEN
- Migranten aus Afrika und Asien in Hamburg
- Moslems in Indien
- Musik in Indien
- Sufis und Sufismus in Indien
- Tanz in Indien
- Unani in Indien
- Wasser als Instrument himmlischer und irdischer Macht in Indien
- Über mich und mein Leben
- Meine Reisen mit meiner deutschen Familie nach Indien(aktualisiet)
- Reisebilder
Tanz in Indien
Der Tanz als rhythmische Bewegung zählt zu den ursprünglichen Ausdrucksformen der Menschen. Wir begegnen ihm in Indien auf Höhlenmalereien und Skizzen aus der Steinzeit, die darauf hinweisen. Im Laufe der Geschichte entwickelte sich der Tanz entsprechend den kulturellen und sakralen Gegebenheiten des Landes.
Der Ursprung des Tanzes in Indien geht auf die vedische Zeit (1500-1000 v. Chr.) zurück. Indra, der mächtigste Gott dieser Zeit, wird als Erfinder des Tanzes verehrt. Der Gott Shiva, Schöpfer, Erhalter und Zerstörer der Welt, schuf tanzend die Welt und wird als Repräsentant des kosmischen Tanzes betrachtet. Sein Bild als Natraja, König des Tanzes, steht in 108 verschiedenen Posen an den vier Eingängen des Tempels von Chidambaran in Tamil Nadu (Südindien). Wahrscheinlich ist in keinem Land der Erde so früh über die Tanzkunst geschrieben worden wie in Indien. Der legendäre Bharata verfasste im 4. Jh. v. Chr.) das Buch Natya Shastra, Lehrtext des Tanzes in drei Kategorien:
Erstens: Bewegung der unteren Gliedmaßen mit Musik (Nrtta). Zweitens: Tanz mit Gesten und des Gesichtsausdrucks (Nrtya). Drittens: Tanz mit Dialogen (Natya). Er beschreibt 67 Handbewegungen (Hasta) und 32 der unteren Gliedmaßen (Cari). Die 108 Tanzstellungen von Shiva gehen auf seine Beschreibung zurück.
Nach herrschender Auffassung wird der indische Tanz in drei Kategorien eingeteilt.
Klassischer Tanz, Volkstanz und moderner Tanz.
Dem klassischen Tanz werden sieben Arten zugeordnet: 1) Bharatayanatam, 2) Kathakali, 3) Ottam Thullal, 4). Kuchipudi, 5) Odissi 6) Manipuri und 7) Kathak. 1) bis 4) sind Tänze aus Südindien, 5) kommt aus Orissa, 6) aus Assam und 7) ist der klassische Tanz aus Nordindien, der auch als Hindustanitanz bezeichnet wird.
Bharatanatyam: Der Name des Tanzes geht auf seinen Erfinder, Bharata, zurück. Dieser wurde seit seiner Entstehung in den Tempeln des Südens von den Devdasi, den Dienerinnen der Götter, getanzt, die man in Tamil Nadu auch Dasi Attam nannte. Traditionsgemäß waren die Devdasi mit den jeweiligen Göttern der Tempel verheiratet, und ihre Hochzeit wurde mit der Vermählung von Shiva mit Parvati verglichen. Domingo Paes, portugiesischer Reisender im Reich von Vijayanagar im 16. Jh. berichtet von zahlreichen Devdasi, die die Tanzkunst beherrschten, kostbare Kleider und Schmuck trugen und unter dem Patronat der Könige und des Adels lebten. Mit dem Untergang der indischen Reiche verloren die Devdasi ihren bisherigen gesellschaftlichen Halt, während der britischen Herrschaft verkamen sie zu Prostituierten. Im Jahre 1927 schätzte man deren Zahl in Madras Presidency auf über 200.000. Mahatma Ghandi schrieb damals: „There are, I am sorry to say, many temples in our country which are no better than brothels.“ (s. Reginald Massey. India Dances. New Delhi 2004, S. 77). Infolge massiver Proteste der Bevölkerung wurde den Devdasi der Aufenthalt in und um die Tempel durch das Gesetz „Madras Prevention of Dedication of Devdasi Act 1947“ verboten. Wahrscheinlich wäre der Tanz der Devdasi in Vergessenheit geraten, wenn nicht eine Brahmanin aus einer wohlhabenden Familie, Rukhmani Devi (1904-1986), sich diesen zu eigen gemacht hätte. Sie gründete 1936 in Madras, heute Chennai, die Tanzschule Kalakshetra und befreite den Tanz von den Vorurteilen der Gesellschaft und bezeichnete ihn als Bharatanatyam. Es ist ihr zu verdanken, dass nun dieser Tanz und ihre Schule von den Töchtern der höheren Kasten angenommen wurde. Ohne auf die Techniken in Einzelheiten einzugehen, werden hier lediglich die Hauptmerkmale der Tänze beschrieben.
Der Bharatanatyam beginnt in der Regel mit einer Gottesverehrung (Alarippu), geht über in religiöse Texte (Sabdam), steigert sich zum Hauptteil (Varnam), präsentiert ein Bravourstück (Tillna) und endet mit einem gnadenbringenden Vers (Mangalam). Der etwa zwei Stunden dauernde Tanz beinhaltet eine ganze Platte von Ausdrucks- und Bewegungsformen. Unter dem Begriff Bhava werden neun Ausdrucksformen zusammengefasst: 1) Empörung 2) Furcht 3) Gelächter 4) Liebe 5) Pathos 6) Sanftheit 7) Schwung 8) Staunen 9) Zorn. Ebenfalls werden neun Formen von Emotionen (Rasa) zum Ausdruck gebracht wie 1) Abscheu 2) Erotik 3) Sagenhaftes 4) Friede 5) Heldentum 6) Lächerlichkeit 7) Mitleid 8) Schrecken 9) Frust. Begleitet wird der Tanz von den Musikinstrumenten Vinai (Saiteninstrument), Mrudangam (zweifellige Trommel), Tanpura (Saitenbegleitinstrument), Ilatalam (Beckenteller) und Murali (Bambusflöten). Alle diese Instrumente sind mit den Hindugöttern verbunden. Vinai mit der Göttin Parvati, Gattin von Shiva, Mrudangam mit Shiva, Ilatam mit Brahma und Murali mit Krishna. Zu den bekanntesten Tänzerinnen des Bharatanatyam zählen Rukmini Devi ( 1904-1986), Trishul Balasaraswati (1918- 1984), Yamini Krishnamutri (geb. 1942), Sonal Mansingh (geb. 1944), Mallika Sarabhai (geb. 1954) und Padma Subrahmanyam (geb. 1943).
Kathakali bedeutet Geschichtenerzählung, wird in Kerala als Tanzdrama und in der dortigen Sprache Malayalam aufgeführt. Hierbei wird über das Leben und den Krieg von Ramanatham, altindisch Rama, und der Liebesgeschichte von Krishnatham, Krishna, erzählt. Das Epos Ramayana, (Entstehung 3. Jh. v. Chr. Bis 2. Jah. n. Chr.) beschreibt, wie die Gattin Sita des Königs Rama vom Dämonenkönig Ravana aus Süden geraubt und nach Lanka entführt und mit Hilfe des Affenkönigs Hanuman befreit wird. Von Krishna (altindisch: der Schwarze), der Inkarnation des Gottes Vishnu, wird in Purana (Supplement zum Mahabharata, 5. Jh. v. Ch.) von Radha, seiner Geliebten und seinen tanzenden Kuhhirtinnen (Gopis) aus Mathura in Vrindaban (Wäldern) im heutigen Uttar Pradesh, berichtet. Es wird gesagt, dass diese Erzählungen auf die Kaste der Nair, die Rajputen in Kerala, zurückgeht, die sie aus Nordindien nach Kerala mitbrachten . Durch die Unterstützung der Rajas von Kottayam und Travancore im 17. und 18. Jh. wurde Kathakali zum Nationaltanztheater in Kerala, dessen Schauspieler primär aus der Kaste von Nair kommen. Die Sanskrittexte wurden ausschließlich von einer bestimmten Kaste der Brahmanen, Chakkiyar, vorgelesen. Die Kostümierung und Bemalung der Schauspieler für diesen Tanz ist sehr zeitaufwendig. Die Gesichtsmaske deutet auf Einflüsse der dravidischen Kultur aus vorarischer Zeit hin. Die Schauspieler glänzen in prachtvollen Kostümen, Farben und Kopfputz. Die Darsteller werden in die sieben Kategorien 1) edel, 2) böse, 3) weise 4) machthungrig, 5) Jäger, 6) Hexe 7) Volk eingeteilt. Zum Beispiel steht die leuchtende grüne Farbe (Pacca) für die wahrhaftigen Edlen wie Rama und Krishna und das Hellgrün mit rotem Schnurrbart und rotem Punkt auf der Nase für den falschem Charakter wie Ravana. Die Darstellung insgesamt gilt als männlich und martialisch. Die Hauptinstrumente sind Röhren-und Kokostrommeln, Maddalam, die mit scharfem Klang die Stimmung eines Kriegers erzeugen. Die Trommeln werden von Beckentellern (Ilatalam) und einem Gong (Cennala) begleitet. Während der britischen Herrschaft geriet auch Kathakali in den Hintergrund. Der bekannte Dichter aus Kerala, Vallathol Narayana Menon (1878-1958) trug entscheidend zur Wiederbelebung dieses Tanzspiels bei, indem er 1930 Kerala Kala Mandalam (Kerala Institute of Arts) in Cheruthuruthi gegründete. Zu den Meistern, die zur weltweiten Bekanntheit von Kathakali beigetragen haben, gehören u. a. Guru Kunju Kurup (1880-1973), Kalamandalam Krishna Nair (1914- 1996), Mrinalani Sarabhai (geb. 1928).
Ottam Thullal (Laufen und Springen), wenn auch nicht sehr weit verbreitet, wird von dem Kathakali abgeleitet, das von einem Dichter aus Kerala, Kunjan Nambiar, im 18. Jh. eingeführt wurde. Bei diesem Tanzdrama handelt es sich um ein Protestspiel gegen die Herrschenden. Wegen der Schlichtheit der Darstellung und Sprache wird dies als Kathakali des Volkes bezeichnet. Die musikalische und szenische Darstellung befasst sich mit dem Zustand der Masse und des herrschenden Systems. Ottam Thulla wird nur in Kerala, und dort auch nur gelegentlich, aufgeführt.
Kuchipudi. Der Tanz ist nach einem Dorf, Kuchelpuram oder Kuchipudi in Andhra Pradesh benannt. Das Spiel geht auf das Erwachen des Vishnu Kults im 14. Jh. zurück. Die Bhaktibewegung, Ausdruck der Hingabe an Krishna und Rama (Inkarnationen von Vishnu), entstand in Form vom Gesang, Musik und Tanz erst in Nordindien und breitete sich im 15. Jh. in Süden aus. Ein Brahmane aus Andhra Pradesh, Sidhyendra Jogi, ein Änhanger von Vishnu entwarf im 15. Jh. ein Tanzdrama zu Ehren von Krishna und spielte dies mit den Brahmanenjungen des Dorfes Kuchipudi. Der damalige Nawab von Golconda (Hyderabad), Abdul Hassan Tanisha, besuchte 1675 das Drama und war hingerissen und am Erhalt dieser Tanzkultur so interessiert, dass er der Gruppe die umliegenden Ländereien schenkte. Noch heute wird in diesem Dorf die Geschichte von Krishnas eifersüchtiger Frau Satyabhama mindestens einmal im Jahr aufgeführt. Die Rollen werden ausschließlich von ortsansässigen Brahmanenjungen übernommen. Im Gegensatz zu den anderen klassischen Tänzen Indiens wird zum Kuchipudi nicht gesungen. Die Einleitung des Spiels (Daru) beginnt mit durch ein Tuch total verdecktem Körper, man sieht lediglich Kopf und Füße des Schauspielers. Die Musikinstrumente sind primär karnatischen bzw. südindischen Ursprungs, Mrudangam, Ilatalam und Geige. Der Ton des Tanzes wird von einem Vorsprecher, dem so genannten Nuttuvanar, bestimmt. Die Männer tragen auf der Bühne einen weißen Lendenschurz (Dhoti) und eine Jacke, als verkleidete Männer benutzen einen einfachen Sari. Kuchipudi wird eine ganze Nacht hindurch im Tempelhof des Ortes getanzt. Dieses Tanzpiel wird nirgendwo anders in dieser Aufmachung und Länge dargestellt. Als große Kuchipuditänzer sind zu nennen Guru Chinta Krishnamurthi (1912- 1969), Vedantam Satyanarayana (geb. 1934) und Mallika Sarabhai (geb. 1954).
Odissitanz ist im Bundesstaat Orissa (Südost) beheimatet, ein Land, das geprägt ist vom rauen Klima der Bucht von Bengalen und umgeben von den Hochebenen des Dekkan. Seine klimatische und geographische Lage erwies sich als Schutzwall gegen fremde Kulturen, und somit blieb seine alte Tradition unverfälscht bestehen. Man fand dort gut erhaltene Mosaiken und Skulpturen mit Bildern von Musikern und Tänzern aus vorchristlicher Zeit. Im 8. Jh. war die Stadt Bhubaneshwar ein Zentrum des Tanzkultes von Shiva, der im 11. Jh.von der Vishnubewegung abgelöst wurde. Der dortige König Chota Ganga Deva (1077-1147), ein Verehrer von Vishnu, baute in Puri einen monumentalen Tempel, der dem Gott Krishna geweiht wurde und den Namen Jagganath, Herr des Universums, erhielt. Irgendwo in der Nähe von Puri schrieb Jayadeva im 12. Jh. die Gita Govinda, einen Gedichtband über die Liebe von Krishna und Radha in glühenden Versen, die noch heute in Indien in Bhajan (Hymnen) und in Tanzdramen gesungen werden. Wie in Tamil Nadu lebten und tanzten in den Tempeln von Puri die Götterdienerinnen, Mahari genannt, die mit den Göttern des Tempels verheiratet wurden, und auch Männer, die Gotipuas hießen, dienten den Gottheiten. Nach den Berichten britischer Beamten in Puri begleiteten die Maharis das Bild von Jagganath – britische Autoren nannten ihn Juggernaut – zum jährlichen Wagenfest, Rath Jatra, trugen ihn zum Schaukelfest (Jhoolan Jatra) und zu Bootsfahrten im Mondschein auf dem Meer (Chandan Jatra) und sangen und tanzten dazu. Am Anfang des 20. Jh. nahm ihr Schickal einen ähnlichen Verlauf wie das der Devdasi in Südindien, das heißt, sie verschwanden endgültig von der Bildfläche. Ihre Tanzkunst lebt aber im Odissi weiter. Diese Tanzkultur basiert auf Bharatanatyam und einheimischer Tradition. Die gebogene Haltung (Bhanga) von Oberschenkel, Füßen und Knien und die sanfte Gangart (Cari) sind die Hauptmerkmale des Tanzes. Aufgrund der Nähe zu Andhra Pradesh ist Odissi den südindischen Tänzen sehr ähnlich. Zur Belebung und Internationalisierung des Odissitanzes haben Kelucharan Mahapatra (1926- 2004), Indarani Rehma (1930- 1999) und Sanjukta Panigrahi (geb. 1944) entscheidend beigetragen.
Manipuri Tanz kommt aus dem ehemaligen Assam, einem Gebiet, das heute noch nach ethnischen und konfessionellen Gesichtspunkten in sieben Bundesstaaten (Assam, Arunachal Pradesh, Meghalaya, Manipur, Mizoram, Nagaland und Tripura aufgeteilt ist. Alle diese Staaten gehören mehr oder weniger zum Überschwemmungsgebiet des Brahmaputra, sind im Norden von Himalaya, China und Tibet und im Süden von Birma umgeben. Die Bevölkerung stammt vorwiegend aus tibeto-mongolischen Volksgruppen. Aufgrund der Grenzsicherung und aus ökonomischen Gründen (Tee, Hartholz, Jute, Erdöl) wurde das Gebiet nach und nach von den Briten besetzt, das heutige Manipur war bis 1813 ein Teil von Birma. In dem Staat Manipur lebt mehrheitlich der Stamm der Meities, der erst im 18. Jh. von den Anhängern des Vishnukults zum Hinduismus bekehrt wurde, die die Gesänge und Tänze (Ram Lila und Ras Lila) dorthin brachten. Es kam zu einer Mischung zwischen dem nordindischen und dortigen einheimischen Tanz von Lai Haroba, die Liebe der Götter und Menschen untereinander. Aber aus geographischen Gründen blieb der Odissitanz lediglich in Manipur erhalten. Erst 1920 entdeckte Rabindra Nath Tagore (1861-1941) ihn bei seinem Besuch in dieser Gegend. Zur Einführung dieses Tanzes auf nationaler Ebene errichtete Tagore einen Lehrstuhl in seiner Schule von Shantiniketen (Nähe von Kolkata), und ließ den damaligen berühmten Manipuritänzer Atomba Singh (1885-1975) unterrichten. Der Manipurtanz wird insbesondere in Vollmondnächten gespielt, daran beteiligen sich drei bis vier Personen, sowohl Frauen als auch Männer, was bei anderen klassischen Tänzen nicht üblich ist. Der Tanz wird erst von einem Trommler angekündigt, dessen Dhoti nur bis oberhalb der Knie geht, der Oberkörper ist nackt. Die Tänzerinnen tragen steife Blusen, die mit funkelnden Spiegeln bestickt sind, und einen Glockenrock sowie Fußketten. Das besondere am Manipuritanz ist, dass während der Tanzbewegungen auf jegliche Gesichts- und Augenmimik verzichtet wird, was in extremem Kontrast zu den anderen indischen klassischen Tänzen steht. Amubi Singh (1881-1972), Atomba Singh (1885-1975) trugen zur Popularität dieses Tanzes bei.
Kathak. Der Kathak ist der klassische Tanz Nordindiens, der auch als Hindustanitanz bezeichnet wird. Das Wort Kathak leitet sich von Katha (Geschichte) ab und dies geht darauf zurück, dass auch hier wie in anderen Tänzen über Krishna, Rama und andere Hindugötter erzählt wird. In diesen Tanzspielen von Ram Lila und Ras Lila wurden ursprünglich die Hindidialekte Bhojpuri und Brajbhasha gesprochen, die heute noch im Einzugsbereich der Flüsse Ganges und Jamuna (Uttar Pradesh und Bihar) gesprochen wird. In der Anfangsperiode der moslemischen Herrschaft fand Kathak keine Beachtung mehr. Dies änderte sich aber bereits in der Regierungszeit von Alladin Khilji (1288-1296). Amir Khusro (1253-1325), Erfinder der Sitarmusik und der Meditationslieder (Sama), machte die Kathamusik hoffähig. Eigentlich war es der Mogulnkaiser Akbar der Große (1556-1605), der die Musik und Tänze sehr förderte. An seinem Hof in Agra lebte der legendäre Ragasänger Tansen (geb. um 1500 in Gwalior). Zu seiner Zeit kehrte sich der Kathak weitgehend von den Huldigungen der Hindugötter ab und schlug eine säkulare Richtung ein, um die Unterstützung des moslemischen Adels sicherzustellen. Die nachfolgenden Kaiser Jehangir (1605-1627) und Shahjahan (1628-1628-1658) unterhielten eine Schar von Musikern und Tänzern an ihren Höfen. Der Mogulnkaiser Aurangzeb (1658-1707), ein orthodoxer Sunnit, verbannte Musik und Tanz von seinem Hof. Es wird erzählt, dass, als er einmal im Red Fort von Agra sehr lautes Wehklagen hörte und nachfragte, man ihm sagte, ein großer Kathaktänzer sei gestorben. Daraufhin äußerte er schmunzelnd, man sollte ihn weit von seinem Schloss wegtragen und ihn so tief begraben, dass er nie wieder auferstehen könne.Trotz seiner Abneigung blühte die Musik und der Tanz an den Königs- und Adelshöfen weiter. Einer der letzten Mogulnkaiser, Mohammad Shah (1726-1739), war ein großer Tänzer und wurde daher vom Volk als Rangila Badshah bzw. bunter Kaiser bezeichnet. Der letzte Mogulnkaiser Bahadur Shah (1768-1862) - sein Dichtername war Zafar- veranstaltete Tanzabende in Chandni Chowk (Alt Delhi, Purani Delhi). Mit dem Zerfall der Mogulndynastie 1875 flüchteten die damaligen Kathaktänzer zu den Rajas, Maharajas und Nawabs. Der Nawab von Awadh (Uttar Pradesh) Wajid Ali Shah (1822-1857) war ein großer Tänzer und der Erfinder des Tanzes Thumri (von Thumakna, verführerische Tanzbewegung), eines der klassischen Tänze Nordindiens. Sein Hofdichter in Lucknow Syed Aga Hassan Amanat schrieb ein Tanzdrama für Kathak in der Urdusprache, das den Titel Inder Sabha (Indras Hof) trägt. Die Kathaktänzerinnen, die Tawaif hießen, hatten ausgezeichnete Hofmanieren (Tahzeeb) und wurden auch für die Erziehung der Kinder des Adels eingesetzt. Aufgrund des von den Briten eingeführten Großgrundbesitztums (Zamindari) in Bengalen, Bihar und Uttar Pradesh lebten sie als Kurtisanen und Konkubinen der Zamindare in den damalige britischen Verwaltungsstädten und boten Gesang und Kathaktanz (Mujra) an. Durch die Verarmung des Landadels kam es dazu, dass sie mehrheitlich wie die Devdasi und Mahari zu Prostituierten wurden, die man in Nordindien Randi nannte und noch nennt, die die Briten als Nauch (aus dem Hindiwort Natch=Tanz) bezeichneten. Erst nach der Unabhängigkeit Indiens 1947 erlebte der Kathak seine Blüte, seine Wiederbelebung ist den alten Tanzfamilien (Gharanas) zu verdanken. Die Kathak repräsentiert die Kulturen sowohl der Hindus als auch der Moslems. Die Hindus spielen in Kathaktanz die Dramen Ram Lila und Ras Lila, die Moslems die Geschichte ihrer eigenen Heiligen und Helden, wobei jede Art der Erzählung von beiden Gruppen gerne gesehen wird. Die geschichtliche Entwicklung des Kathaks ist mit der Hindustanivokalmusik wie Bhajan, Dadra, Dhrupad, Ghazal, Kirtan und Thumri eng verbunden. Mit der Entwicklung der Hindisprache als lingua franca Indiens verbreitete sich der Kathaktanz überall. Das Klatschen und Schlagen (Tala) mit Trommeln stellt dabei das Hauptelement dieser Tanze dar. Der Kathak ist ein Solotanz, unterliegt strengen Fußbewegungen, mit denen die Stellung der Arme und des Körpers harmonieren müssen. Die Füße tragen fast 100 Glocken (Ghungru), der Guru/Ustad gibt laut die Tanzsilben (Bol) vor, die Tänzerin spricht nach und lässt durch die Fußglocken nachklingen. Ein wichtiger Teil des Tanzes ist das schnelle Drehen (Chakkar) des Körpers. Die Trommelbegleitung (Tabalchi) ist ein unverzichtbarer Bestandteil des Kathaks. Während der Aufführung entwickelt sich ein spielerischer Wettstreit zwischen Tänzern und Trommelspielern, in dem jeder versucht, den Partner in rhythmischer Präzision (Lehra) zu übertreffen, einer alten Tradition zur Gewinnung der Gönnerschaft des Herrschers und der Gäste. In der Regel beginnt und endet der Kathak mit mehrmaliger Begrüßung des Zuschauers mit der rechten Hand zum Gesicht (Salami) hin, eine moslemische Hoftradition. Der Kathak unterliegt nicht den strengen Vorschriften von Bharatanatyam und Kathakali. Die Tänzerin trägt ein langes Hemd (Kurta), eine Brokatbluse (Choli), einen Schal, der mit goldenen Fäden durchwirkt ist (Orhni, Dupatta), und eine enge Hose (Chust Pyjama); dies alles entspricht der Kleiderordnung der früheren nordindischen Höfe. Diese wird in vereinfachter Form noch von Mädchen in Nordindien getragen. Die wichtigsten Musikinstrumente des Kathak sind Harmonium, Sarangi und zwei einzelne Tablas. Dieser Tanz wird vornehmlich von Gharanas aus Benares, Jaipur und Lucknow dominiert, jeweils jeder für sich zuständig für die Gestaltung von Rhythmen, für die Fußbewegungen und für den Ausdruck von Gefühlen. Zu den größten dieser Gharanas gehören Sunder Prasad (1891-1970), Joshi Damayanti (1932-2004), Sitara Devi (geb.1922), Königin des Kathaks, und Birju Maharaj (geb. 1938), zur Zeit der bekannteste Kathaklehrer aus Lucknow.
Volkstanz. Der indische Subkontinent mit über einer Milliarde Menschen beherbergt fast alle Glaubensrichtungen der Welt, die jeweils über ihre eigene feste Tradition verfügen. Darüber hinaus tragen die geographischen Gegebenheiten des Landes zu den kulturellen Unterschieden bei. Die Bergvölker des Himalaya und des Hochlands von Dekkan haben andere Tanzrhythmen als das Bauernvolk der Flussebenen des Ganges, Jamuna, Godaveri, Krishna und Kaveri. Diese unterscheiden sich wiederum grundlegend von den Tanzschritten der Adivasi und der Banjara (Nomaden) in Rajasthan. Die martialischen Tänze von Punjab und Nagaland (Ostindien) stehen im Kontrast zu den Tanzstilen der Fischer- und Küstenbewohner von Bengalen und des arabischen Meeres. Die Volkstänze verfügen über keine schriftlichen Texte und keine Regelwerke. Sie haben keine Bühne, keinen Guru, tanzen nicht für die Erhabenen. Frauen und Männer, Jung und Alt tanzen gemeinsam zum eigenen Vergnügen und zum Erhalt der Gemeinschaft. Der Tanz ist Dank für die Gaben der Natur und Lob und Besänftigung der Götter zugleich. Man trägt keine speziellen Kostüme, sondern schmückt sich mit Federn und Knochen der Tiere aus der Sagenwelt wie Adler, Pfau, Büffeln und Löwen. Der Musiker ist einer von ihnen, die Instrumente sind einfach, z. B. Bälle, Flöten, Glocken, Klappern, Pfeil und Bogen, Schwerter, Sicheln, Speere, Stöcke und Trommeln.
Moderner Tanz. Einer der Pioniere des modernen Tanzes in Indien ist Uday Shankar (1900-1977), Bruder des Sitarspielers Ravi Shankar (geb. 1920). Uday Shankar traf 1920 in Indien die Ballerina Anna Pavlova (1881-1931), die sich dort aufhielt, um die Tänze der Devdasi kennenzulernen. Er lernte von ihr das Ballett und begleitete sie nach London, wo er mit ihr zusammen 1923 eine Ballettaufführung über Radha und Krishna gab. Er war der erste Tänzer, der mit den starren Regeln der indischen Tanztradition, insbesondere der Gestik der Hände und Augen, brach. Er stellte in der von ihm gegründeten Ballettschule Almora (Uttar Pradesh) den Tanz in reiner Form in den Mittelpunkt. Der erste choreographierte Film, „Kalpana“, wurde von ihm produziert. Die Verbreitung des modernen Tanzes geht auf die Filmindustrie von Mumbai (Bombay) der fünfziger Jahre zurück. Der moderne Tanz in den Filmen erhielt einen erotischen Touch, der die Filme zum Kassenerfolg führte. Der moderne Tanz in Bollywood ist weder indisch noch europäisch, sondern eine Mischung von beiden, die beim Volk sehr gut ankommt, übrigens auch im indischen Fernsehen.
Schlußfolgerung. Der klassische Tanz hat seinen Ursprung an den Königs- und Adelshöfen und bei den Priestern in den Tempeln. Er ist durch und durch sehr religiös und elitär. Der Niedergang der indischen Aristokratie führte zur Degenerierung dieser Tänze. Nach der Unabhängigkeit Indiens 1947 erlebte die die Klassik eine Renaissance. Der Staat gründete Institutionen zur Wiederbelebung des kulturellen Erbes, und in der Tat erlebte der klassische Tanz in den folgenden Jahren eine Blütezeit und fand auch in den europäischen Ländern etliche Zuschauer. Infolge der Modernisierung der indischen Gesellschaft änderte sich aber die Ausgabepolitik des Staates, die zu Vernachlässigung der kulturellen Einrichtungen führte. Auch die heutige Elite und die Mittelschicht hat kaum Beziehung zur alten Kunsttradition. Die Mehrheit kennt die klassischen Tänze nur noch dem Namen nach. Hinzu kommt, dass der Inhalt der Erzählungen sowie der Gesichts- und Körperausdruck der klassischen Tanzdramen tiefe Kenntnisse der Mythologie voraussetzt, die nur Eingeweihte besitzen, aber nicht der Masse der arbeitenden Bevölkerung. Auch brauchen die Künstler viel Zeit für ihre Ausbildung, die mit großen körperlichen und geistigen Anstrengungen verbunden ist. Eine solche Ausbildung leisten sich nur einige für ihre Töchter in der Erwartung, dass ihr gesellschaftliches Ansehen steigt. Dies ist aber nicht der Fall, denn in konservativen Kreisen wird die Erinnerung an den früheren schlechten Ruf der Devdasi wach. Auch finanziell lohnt sich der Beruf als Tänzerinnen selten. Nur die Besten finden Aufträge in Filmen und Konzerten. Indien verfügt leider nicht über städtische Theater und Spielhäuser wie es in Europa der Fall ist. Umherziehende Natak, Nautangi (Stadttheater, Wandertheater), Kath Putli (Schattenspiele), die Epenerzähler mit Dholak und die Tanzdramen wie Ram Lila und Ras Lila sieht man in den Dörfern nicht mehr. Die Zamindare, die Förderer dieser Spiele und Tänze, die die Materialien und den Platz zum Aufschlagen der Zelte zur Verfügung stellten, sind verarmt, und es fehlt an Zuschauern. Im Gegensatz zu klassischen Musikern, die mit der Hilfe von Radio, Kassetten, CDs, Film und Fernsehen einen sehr großen Zuhörerkreis, auch bei den zahlungskräftigen Indern im Ausland, gewonnen haben, bleibt der alte Tanz mit strukturellen Problemen behaftet. Die Bühne, Kostüme, Masken, Gestaltungsvorschriften, schwerfälligen Tanzbewegungen, Mimen und lange Spielzeit stellen große Hindernisse bei der Anpassung an die modernen Anforderungen dar. Klassische Tanzveranstaltungen finden heute nur noch in den Großstädten für eine ausgewählte Schicht und für ausländische Gäste im Rahmen von Kulturrepräsentationen statt, die der Staat zum größten Teil finanziert. Die bisherige Entwicklung zeigt, dass der klassische Tanz wahrscheinlich auch in Zukunft mehr oder weniger auf staatliche Hilfe angewiesen sein wird.
Literatur:
Das große Lexikon der Musik. Bd. 8. Freiburg i. Brsg. 1982. S. 90Ff
Kaifi, A. Khaliq. Musik in Indien. In: Meine Welt. Jg. 21(2). Köln 2004. S. 16Ff
Khokar, Ashish Mohan. Folk Dance. New Delhi 2003
Massey, Reginald. India's Dances. New Delhi 2004
Die Musik in Geschichte und Gegenwart in 20 Bänden. Sachteil 8. Kassel 1998. S. 754Ff
The New dictionary of Music and Musicians. 2nd Ed. London 2001. S. 260Ff
Einige Daten über Geburt und Tod der hier erwähnten Tanzkünstler gehen auf die Angaben des Bibliothekars Jayaprakash Bengeri der Sanjeet Natak Academy in New Delhi zurück.
Der Tanz als rhythmische Bewegung zählt zu den ursprünglichen Ausdrucksformen der Menschen. Wir begegnen ihm in Indien auf Höhlenmalereien und Skizzen aus der Steinzeit, die darauf hinweisen. Im Laufe der Geschichte entwickelte sich der Tanz entsprechend den kulturellen und sakralen Gegebenheiten des Landes.
Der Ursprung des Tanzes in Indien geht auf die vedische Zeit (1500-1000 v. Chr.) zurück. Indra, der mächtigste Gott dieser Zeit, wird als Erfinder des Tanzes verehrt. Der Gott Shiva, Schöpfer, Erhalter und Zerstörer der Welt, schuf tanzend die Welt und wird als Repräsentant des kosmischen Tanzes betrachtet. Sein Bild als Natraja, König des Tanzes, steht in 108 verschiedenen Posen an den vier Eingängen des Tempels von Chidambaran in Tamil Nadu (Südindien). Wahrscheinlich ist in keinem Land der Erde so früh über die Tanzkunst geschrieben worden wie in Indien. Der legendäre Bharata verfasste im 4. Jh. v. Chr.) das Buch Natya Shastra, Lehrtext des Tanzes in drei Kategorien:
Erstens: Bewegung der unteren Gliedmaßen mit Musik (Nrtta). Zweitens: Tanz mit Gesten und des Gesichtsausdrucks (Nrtya). Drittens: Tanz mit Dialogen (Natya). Er beschreibt 67 Handbewegungen (Hasta) und 32 der unteren Gliedmaßen (Cari). Die 108 Tanzstellungen von Shiva gehen auf seine Beschreibung zurück.
Nach herrschender Auffassung wird der indische Tanz in drei Kategorien eingeteilt.
Klassischer Tanz, Volkstanz und moderner Tanz.
Dem klassischen Tanz werden sieben Arten zugeordnet: 1) Bharatayanatam, 2) Kathakali, 3) Ottam Thullal, 4). Kuchipudi, 5) Odissi 6) Manipuri und 7) Kathak. 1) bis 4) sind Tänze aus Südindien, 5) kommt aus Orissa, 6) aus Assam und 7) ist der klassische Tanz aus Nordindien, der auch als Hindustanitanz bezeichnet wird.
Bharatanatyam: Der Name des Tanzes geht auf seinen Erfinder, Bharata, zurück. Dieser wurde seit seiner Entstehung in den Tempeln des Südens von den Devdasi, den Dienerinnen der Götter, getanzt, die man in Tamil Nadu auch Dasi Attam nannte. Traditionsgemäß waren die Devdasi mit den jeweiligen Göttern der Tempel verheiratet, und ihre Hochzeit wurde mit der Vermählung von Shiva mit Parvati verglichen. Domingo Paes, portugiesischer Reisender im Reich von Vijayanagar im 16. Jh. berichtet von zahlreichen Devdasi, die die Tanzkunst beherrschten, kostbare Kleider und Schmuck trugen und unter dem Patronat der Könige und des Adels lebten. Mit dem Untergang der indischen Reiche verloren die Devdasi ihren bisherigen gesellschaftlichen Halt, während der britischen Herrschaft verkamen sie zu Prostituierten. Im Jahre 1927 schätzte man deren Zahl in Madras Presidency auf über 200.000. Mahatma Ghandi schrieb damals: „There are, I am sorry to say, many temples in our country which are no better than brothels.“ (s. Reginald Massey. India Dances. New Delhi 2004, S. 77). Infolge massiver Proteste der Bevölkerung wurde den Devdasi der Aufenthalt in und um die Tempel durch das Gesetz „Madras Prevention of Dedication of Devdasi Act 1947“ verboten. Wahrscheinlich wäre der Tanz der Devdasi in Vergessenheit geraten, wenn nicht eine Brahmanin aus einer wohlhabenden Familie, Rukhmani Devi (1904-1986), sich diesen zu eigen gemacht hätte. Sie gründete 1936 in Madras, heute Chennai, die Tanzschule Kalakshetra und befreite den Tanz von den Vorurteilen der Gesellschaft und bezeichnete ihn als Bharatanatyam. Es ist ihr zu verdanken, dass nun dieser Tanz und ihre Schule von den Töchtern der höheren Kasten angenommen wurde. Ohne auf die Techniken in Einzelheiten einzugehen, werden hier lediglich die Hauptmerkmale der Tänze beschrieben.
Der Bharatanatyam beginnt in der Regel mit einer Gottesverehrung (Alarippu), geht über in religiöse Texte (Sabdam), steigert sich zum Hauptteil (Varnam), präsentiert ein Bravourstück (Tillna) und endet mit einem gnadenbringenden Vers (Mangalam). Der etwa zwei Stunden dauernde Tanz beinhaltet eine ganze Platte von Ausdrucks- und Bewegungsformen. Unter dem Begriff Bhava werden neun Ausdrucksformen zusammengefasst: 1) Empörung 2) Furcht 3) Gelächter 4) Liebe 5) Pathos 6) Sanftheit 7) Schwung 8) Staunen 9) Zorn. Ebenfalls werden neun Formen von Emotionen (Rasa) zum Ausdruck gebracht wie 1) Abscheu 2) Erotik 3) Sagenhaftes 4) Friede 5) Heldentum 6) Lächerlichkeit 7) Mitleid 8) Schrecken 9) Frust. Begleitet wird der Tanz von den Musikinstrumenten Vinai (Saiteninstrument), Mrudangam (zweifellige Trommel), Tanpura (Saitenbegleitinstrument), Ilatalam (Beckenteller) und Murali (Bambusflöten). Alle diese Instrumente sind mit den Hindugöttern verbunden. Vinai mit der Göttin Parvati, Gattin von Shiva, Mrudangam mit Shiva, Ilatam mit Brahma und Murali mit Krishna. Zu den bekanntesten Tänzerinnen des Bharatanatyam zählen Rukmini Devi ( 1904-1986), Trishul Balasaraswati (1918- 1984), Yamini Krishnamutri (geb. 1942), Sonal Mansingh (geb. 1944), Mallika Sarabhai (geb. 1954) und Padma Subrahmanyam (geb. 1943).
Kathakali bedeutet Geschichtenerzählung, wird in Kerala als Tanzdrama und in der dortigen Sprache Malayalam aufgeführt. Hierbei wird über das Leben und den Krieg von Ramanatham, altindisch Rama, und der Liebesgeschichte von Krishnatham, Krishna, erzählt. Das Epos Ramayana, (Entstehung 3. Jh. v. Chr. Bis 2. Jah. n. Chr.) beschreibt, wie die Gattin Sita des Königs Rama vom Dämonenkönig Ravana aus Süden geraubt und nach Lanka entführt und mit Hilfe des Affenkönigs Hanuman befreit wird. Von Krishna (altindisch: der Schwarze), der Inkarnation des Gottes Vishnu, wird in Purana (Supplement zum Mahabharata, 5. Jh. v. Ch.) von Radha, seiner Geliebten und seinen tanzenden Kuhhirtinnen (Gopis) aus Mathura in Vrindaban (Wäldern) im heutigen Uttar Pradesh, berichtet. Es wird gesagt, dass diese Erzählungen auf die Kaste der Nair, die Rajputen in Kerala, zurückgeht, die sie aus Nordindien nach Kerala mitbrachten . Durch die Unterstützung der Rajas von Kottayam und Travancore im 17. und 18. Jh. wurde Kathakali zum Nationaltanztheater in Kerala, dessen Schauspieler primär aus der Kaste von Nair kommen. Die Sanskrittexte wurden ausschließlich von einer bestimmten Kaste der Brahmanen, Chakkiyar, vorgelesen. Die Kostümierung und Bemalung der Schauspieler für diesen Tanz ist sehr zeitaufwendig. Die Gesichtsmaske deutet auf Einflüsse der dravidischen Kultur aus vorarischer Zeit hin. Die Schauspieler glänzen in prachtvollen Kostümen, Farben und Kopfputz. Die Darsteller werden in die sieben Kategorien 1) edel, 2) böse, 3) weise 4) machthungrig, 5) Jäger, 6) Hexe 7) Volk eingeteilt. Zum Beispiel steht die leuchtende grüne Farbe (Pacca) für die wahrhaftigen Edlen wie Rama und Krishna und das Hellgrün mit rotem Schnurrbart und rotem Punkt auf der Nase für den falschem Charakter wie Ravana. Die Darstellung insgesamt gilt als männlich und martialisch. Die Hauptinstrumente sind Röhren-und Kokostrommeln, Maddalam, die mit scharfem Klang die Stimmung eines Kriegers erzeugen. Die Trommeln werden von Beckentellern (Ilatalam) und einem Gong (Cennala) begleitet. Während der britischen Herrschaft geriet auch Kathakali in den Hintergrund. Der bekannte Dichter aus Kerala, Vallathol Narayana Menon (1878-1958) trug entscheidend zur Wiederbelebung dieses Tanzspiels bei, indem er 1930 Kerala Kala Mandalam (Kerala Institute of Arts) in Cheruthuruthi gegründete. Zu den Meistern, die zur weltweiten Bekanntheit von Kathakali beigetragen haben, gehören u. a. Guru Kunju Kurup (1880-1973), Kalamandalam Krishna Nair (1914- 1996), Mrinalani Sarabhai (geb. 1928).
Ottam Thullal (Laufen und Springen), wenn auch nicht sehr weit verbreitet, wird von dem Kathakali abgeleitet, das von einem Dichter aus Kerala, Kunjan Nambiar, im 18. Jh. eingeführt wurde. Bei diesem Tanzdrama handelt es sich um ein Protestspiel gegen die Herrschenden. Wegen der Schlichtheit der Darstellung und Sprache wird dies als Kathakali des Volkes bezeichnet. Die musikalische und szenische Darstellung befasst sich mit dem Zustand der Masse und des herrschenden Systems. Ottam Thulla wird nur in Kerala, und dort auch nur gelegentlich, aufgeführt.
Kuchipudi. Der Tanz ist nach einem Dorf, Kuchelpuram oder Kuchipudi in Andhra Pradesh benannt. Das Spiel geht auf das Erwachen des Vishnu Kults im 14. Jh. zurück. Die Bhaktibewegung, Ausdruck der Hingabe an Krishna und Rama (Inkarnationen von Vishnu), entstand in Form vom Gesang, Musik und Tanz erst in Nordindien und breitete sich im 15. Jh. in Süden aus. Ein Brahmane aus Andhra Pradesh, Sidhyendra Jogi, ein Änhanger von Vishnu entwarf im 15. Jh. ein Tanzdrama zu Ehren von Krishna und spielte dies mit den Brahmanenjungen des Dorfes Kuchipudi. Der damalige Nawab von Golconda (Hyderabad), Abdul Hassan Tanisha, besuchte 1675 das Drama und war hingerissen und am Erhalt dieser Tanzkultur so interessiert, dass er der Gruppe die umliegenden Ländereien schenkte. Noch heute wird in diesem Dorf die Geschichte von Krishnas eifersüchtiger Frau Satyabhama mindestens einmal im Jahr aufgeführt. Die Rollen werden ausschließlich von ortsansässigen Brahmanenjungen übernommen. Im Gegensatz zu den anderen klassischen Tänzen Indiens wird zum Kuchipudi nicht gesungen. Die Einleitung des Spiels (Daru) beginnt mit durch ein Tuch total verdecktem Körper, man sieht lediglich Kopf und Füße des Schauspielers. Die Musikinstrumente sind primär karnatischen bzw. südindischen Ursprungs, Mrudangam, Ilatalam und Geige. Der Ton des Tanzes wird von einem Vorsprecher, dem so genannten Nuttuvanar, bestimmt. Die Männer tragen auf der Bühne einen weißen Lendenschurz (Dhoti) und eine Jacke, als verkleidete Männer benutzen einen einfachen Sari. Kuchipudi wird eine ganze Nacht hindurch im Tempelhof des Ortes getanzt. Dieses Tanzpiel wird nirgendwo anders in dieser Aufmachung und Länge dargestellt. Als große Kuchipuditänzer sind zu nennen Guru Chinta Krishnamurthi (1912- 1969), Vedantam Satyanarayana (geb. 1934) und Mallika Sarabhai (geb. 1954).
Odissitanz ist im Bundesstaat Orissa (Südost) beheimatet, ein Land, das geprägt ist vom rauen Klima der Bucht von Bengalen und umgeben von den Hochebenen des Dekkan. Seine klimatische und geographische Lage erwies sich als Schutzwall gegen fremde Kulturen, und somit blieb seine alte Tradition unverfälscht bestehen. Man fand dort gut erhaltene Mosaiken und Skulpturen mit Bildern von Musikern und Tänzern aus vorchristlicher Zeit. Im 8. Jh. war die Stadt Bhubaneshwar ein Zentrum des Tanzkultes von Shiva, der im 11. Jh.von der Vishnubewegung abgelöst wurde. Der dortige König Chota Ganga Deva (1077-1147), ein Verehrer von Vishnu, baute in Puri einen monumentalen Tempel, der dem Gott Krishna geweiht wurde und den Namen Jagganath, Herr des Universums, erhielt. Irgendwo in der Nähe von Puri schrieb Jayadeva im 12. Jh. die Gita Govinda, einen Gedichtband über die Liebe von Krishna und Radha in glühenden Versen, die noch heute in Indien in Bhajan (Hymnen) und in Tanzdramen gesungen werden. Wie in Tamil Nadu lebten und tanzten in den Tempeln von Puri die Götterdienerinnen, Mahari genannt, die mit den Göttern des Tempels verheiratet wurden, und auch Männer, die Gotipuas hießen, dienten den Gottheiten. Nach den Berichten britischer Beamten in Puri begleiteten die Maharis das Bild von Jagganath – britische Autoren nannten ihn Juggernaut – zum jährlichen Wagenfest, Rath Jatra, trugen ihn zum Schaukelfest (Jhoolan Jatra) und zu Bootsfahrten im Mondschein auf dem Meer (Chandan Jatra) und sangen und tanzten dazu. Am Anfang des 20. Jh. nahm ihr Schickal einen ähnlichen Verlauf wie das der Devdasi in Südindien, das heißt, sie verschwanden endgültig von der Bildfläche. Ihre Tanzkunst lebt aber im Odissi weiter. Diese Tanzkultur basiert auf Bharatanatyam und einheimischer Tradition. Die gebogene Haltung (Bhanga) von Oberschenkel, Füßen und Knien und die sanfte Gangart (Cari) sind die Hauptmerkmale des Tanzes. Aufgrund der Nähe zu Andhra Pradesh ist Odissi den südindischen Tänzen sehr ähnlich. Zur Belebung und Internationalisierung des Odissitanzes haben Kelucharan Mahapatra (1926- 2004), Indarani Rehma (1930- 1999) und Sanjukta Panigrahi (geb. 1944) entscheidend beigetragen.
Manipuri Tanz kommt aus dem ehemaligen Assam, einem Gebiet, das heute noch nach ethnischen und konfessionellen Gesichtspunkten in sieben Bundesstaaten (Assam, Arunachal Pradesh, Meghalaya, Manipur, Mizoram, Nagaland und Tripura aufgeteilt ist. Alle diese Staaten gehören mehr oder weniger zum Überschwemmungsgebiet des Brahmaputra, sind im Norden von Himalaya, China und Tibet und im Süden von Birma umgeben. Die Bevölkerung stammt vorwiegend aus tibeto-mongolischen Volksgruppen. Aufgrund der Grenzsicherung und aus ökonomischen Gründen (Tee, Hartholz, Jute, Erdöl) wurde das Gebiet nach und nach von den Briten besetzt, das heutige Manipur war bis 1813 ein Teil von Birma. In dem Staat Manipur lebt mehrheitlich der Stamm der Meities, der erst im 18. Jh. von den Anhängern des Vishnukults zum Hinduismus bekehrt wurde, die die Gesänge und Tänze (Ram Lila und Ras Lila) dorthin brachten. Es kam zu einer Mischung zwischen dem nordindischen und dortigen einheimischen Tanz von Lai Haroba, die Liebe der Götter und Menschen untereinander. Aber aus geographischen Gründen blieb der Odissitanz lediglich in Manipur erhalten. Erst 1920 entdeckte Rabindra Nath Tagore (1861-1941) ihn bei seinem Besuch in dieser Gegend. Zur Einführung dieses Tanzes auf nationaler Ebene errichtete Tagore einen Lehrstuhl in seiner Schule von Shantiniketen (Nähe von Kolkata), und ließ den damaligen berühmten Manipuritänzer Atomba Singh (1885-1975) unterrichten. Der Manipurtanz wird insbesondere in Vollmondnächten gespielt, daran beteiligen sich drei bis vier Personen, sowohl Frauen als auch Männer, was bei anderen klassischen Tänzen nicht üblich ist. Der Tanz wird erst von einem Trommler angekündigt, dessen Dhoti nur bis oberhalb der Knie geht, der Oberkörper ist nackt. Die Tänzerinnen tragen steife Blusen, die mit funkelnden Spiegeln bestickt sind, und einen Glockenrock sowie Fußketten. Das besondere am Manipuritanz ist, dass während der Tanzbewegungen auf jegliche Gesichts- und Augenmimik verzichtet wird, was in extremem Kontrast zu den anderen indischen klassischen Tänzen steht. Amubi Singh (1881-1972), Atomba Singh (1885-1975) trugen zur Popularität dieses Tanzes bei.
Kathak. Der Kathak ist der klassische Tanz Nordindiens, der auch als Hindustanitanz bezeichnet wird. Das Wort Kathak leitet sich von Katha (Geschichte) ab und dies geht darauf zurück, dass auch hier wie in anderen Tänzen über Krishna, Rama und andere Hindugötter erzählt wird. In diesen Tanzspielen von Ram Lila und Ras Lila wurden ursprünglich die Hindidialekte Bhojpuri und Brajbhasha gesprochen, die heute noch im Einzugsbereich der Flüsse Ganges und Jamuna (Uttar Pradesh und Bihar) gesprochen wird. In der Anfangsperiode der moslemischen Herrschaft fand Kathak keine Beachtung mehr. Dies änderte sich aber bereits in der Regierungszeit von Alladin Khilji (1288-1296). Amir Khusro (1253-1325), Erfinder der Sitarmusik und der Meditationslieder (Sama), machte die Kathamusik hoffähig. Eigentlich war es der Mogulnkaiser Akbar der Große (1556-1605), der die Musik und Tänze sehr förderte. An seinem Hof in Agra lebte der legendäre Ragasänger Tansen (geb. um 1500 in Gwalior). Zu seiner Zeit kehrte sich der Kathak weitgehend von den Huldigungen der Hindugötter ab und schlug eine säkulare Richtung ein, um die Unterstützung des moslemischen Adels sicherzustellen. Die nachfolgenden Kaiser Jehangir (1605-1627) und Shahjahan (1628-1628-1658) unterhielten eine Schar von Musikern und Tänzern an ihren Höfen. Der Mogulnkaiser Aurangzeb (1658-1707), ein orthodoxer Sunnit, verbannte Musik und Tanz von seinem Hof. Es wird erzählt, dass, als er einmal im Red Fort von Agra sehr lautes Wehklagen hörte und nachfragte, man ihm sagte, ein großer Kathaktänzer sei gestorben. Daraufhin äußerte er schmunzelnd, man sollte ihn weit von seinem Schloss wegtragen und ihn so tief begraben, dass er nie wieder auferstehen könne.Trotz seiner Abneigung blühte die Musik und der Tanz an den Königs- und Adelshöfen weiter. Einer der letzten Mogulnkaiser, Mohammad Shah (1726-1739), war ein großer Tänzer und wurde daher vom Volk als Rangila Badshah bzw. bunter Kaiser bezeichnet. Der letzte Mogulnkaiser Bahadur Shah (1768-1862) - sein Dichtername war Zafar- veranstaltete Tanzabende in Chandni Chowk (Alt Delhi, Purani Delhi). Mit dem Zerfall der Mogulndynastie 1875 flüchteten die damaligen Kathaktänzer zu den Rajas, Maharajas und Nawabs. Der Nawab von Awadh (Uttar Pradesh) Wajid Ali Shah (1822-1857) war ein großer Tänzer und der Erfinder des Tanzes Thumri (von Thumakna, verführerische Tanzbewegung), eines der klassischen Tänze Nordindiens. Sein Hofdichter in Lucknow Syed Aga Hassan Amanat schrieb ein Tanzdrama für Kathak in der Urdusprache, das den Titel Inder Sabha (Indras Hof) trägt. Die Kathaktänzerinnen, die Tawaif hießen, hatten ausgezeichnete Hofmanieren (Tahzeeb) und wurden auch für die Erziehung der Kinder des Adels eingesetzt. Aufgrund des von den Briten eingeführten Großgrundbesitztums (Zamindari) in Bengalen, Bihar und Uttar Pradesh lebten sie als Kurtisanen und Konkubinen der Zamindare in den damalige britischen Verwaltungsstädten und boten Gesang und Kathaktanz (Mujra) an. Durch die Verarmung des Landadels kam es dazu, dass sie mehrheitlich wie die Devdasi und Mahari zu Prostituierten wurden, die man in Nordindien Randi nannte und noch nennt, die die Briten als Nauch (aus dem Hindiwort Natch=Tanz) bezeichneten. Erst nach der Unabhängigkeit Indiens 1947 erlebte der Kathak seine Blüte, seine Wiederbelebung ist den alten Tanzfamilien (Gharanas) zu verdanken. Die Kathak repräsentiert die Kulturen sowohl der Hindus als auch der Moslems. Die Hindus spielen in Kathaktanz die Dramen Ram Lila und Ras Lila, die Moslems die Geschichte ihrer eigenen Heiligen und Helden, wobei jede Art der Erzählung von beiden Gruppen gerne gesehen wird. Die geschichtliche Entwicklung des Kathaks ist mit der Hindustanivokalmusik wie Bhajan, Dadra, Dhrupad, Ghazal, Kirtan und Thumri eng verbunden. Mit der Entwicklung der Hindisprache als lingua franca Indiens verbreitete sich der Kathaktanz überall. Das Klatschen und Schlagen (Tala) mit Trommeln stellt dabei das Hauptelement dieser Tanze dar. Der Kathak ist ein Solotanz, unterliegt strengen Fußbewegungen, mit denen die Stellung der Arme und des Körpers harmonieren müssen. Die Füße tragen fast 100 Glocken (Ghungru), der Guru/Ustad gibt laut die Tanzsilben (Bol) vor, die Tänzerin spricht nach und lässt durch die Fußglocken nachklingen. Ein wichtiger Teil des Tanzes ist das schnelle Drehen (Chakkar) des Körpers. Die Trommelbegleitung (Tabalchi) ist ein unverzichtbarer Bestandteil des Kathaks. Während der Aufführung entwickelt sich ein spielerischer Wettstreit zwischen Tänzern und Trommelspielern, in dem jeder versucht, den Partner in rhythmischer Präzision (Lehra) zu übertreffen, einer alten Tradition zur Gewinnung der Gönnerschaft des Herrschers und der Gäste. In der Regel beginnt und endet der Kathak mit mehrmaliger Begrüßung des Zuschauers mit der rechten Hand zum Gesicht (Salami) hin, eine moslemische Hoftradition. Der Kathak unterliegt nicht den strengen Vorschriften von Bharatanatyam und Kathakali. Die Tänzerin trägt ein langes Hemd (Kurta), eine Brokatbluse (Choli), einen Schal, der mit goldenen Fäden durchwirkt ist (Orhni, Dupatta), und eine enge Hose (Chust Pyjama); dies alles entspricht der Kleiderordnung der früheren nordindischen Höfe. Diese wird in vereinfachter Form noch von Mädchen in Nordindien getragen. Die wichtigsten Musikinstrumente des Kathak sind Harmonium, Sarangi und zwei einzelne Tablas. Dieser Tanz wird vornehmlich von Gharanas aus Benares, Jaipur und Lucknow dominiert, jeweils jeder für sich zuständig für die Gestaltung von Rhythmen, für die Fußbewegungen und für den Ausdruck von Gefühlen. Zu den größten dieser Gharanas gehören Sunder Prasad (1891-1970), Joshi Damayanti (1932-2004), Sitara Devi (geb.1922), Königin des Kathaks, und Birju Maharaj (geb. 1938), zur Zeit der bekannteste Kathaklehrer aus Lucknow.
Volkstanz. Der indische Subkontinent mit über einer Milliarde Menschen beherbergt fast alle Glaubensrichtungen der Welt, die jeweils über ihre eigene feste Tradition verfügen. Darüber hinaus tragen die geographischen Gegebenheiten des Landes zu den kulturellen Unterschieden bei. Die Bergvölker des Himalaya und des Hochlands von Dekkan haben andere Tanzrhythmen als das Bauernvolk der Flussebenen des Ganges, Jamuna, Godaveri, Krishna und Kaveri. Diese unterscheiden sich wiederum grundlegend von den Tanzschritten der Adivasi und der Banjara (Nomaden) in Rajasthan. Die martialischen Tänze von Punjab und Nagaland (Ostindien) stehen im Kontrast zu den Tanzstilen der Fischer- und Küstenbewohner von Bengalen und des arabischen Meeres. Die Volkstänze verfügen über keine schriftlichen Texte und keine Regelwerke. Sie haben keine Bühne, keinen Guru, tanzen nicht für die Erhabenen. Frauen und Männer, Jung und Alt tanzen gemeinsam zum eigenen Vergnügen und zum Erhalt der Gemeinschaft. Der Tanz ist Dank für die Gaben der Natur und Lob und Besänftigung der Götter zugleich. Man trägt keine speziellen Kostüme, sondern schmückt sich mit Federn und Knochen der Tiere aus der Sagenwelt wie Adler, Pfau, Büffeln und Löwen. Der Musiker ist einer von ihnen, die Instrumente sind einfach, z. B. Bälle, Flöten, Glocken, Klappern, Pfeil und Bogen, Schwerter, Sicheln, Speere, Stöcke und Trommeln.
Moderner Tanz. Einer der Pioniere des modernen Tanzes in Indien ist Uday Shankar (1900-1977), Bruder des Sitarspielers Ravi Shankar (geb. 1920). Uday Shankar traf 1920 in Indien die Ballerina Anna Pavlova (1881-1931), die sich dort aufhielt, um die Tänze der Devdasi kennenzulernen. Er lernte von ihr das Ballett und begleitete sie nach London, wo er mit ihr zusammen 1923 eine Ballettaufführung über Radha und Krishna gab. Er war der erste Tänzer, der mit den starren Regeln der indischen Tanztradition, insbesondere der Gestik der Hände und Augen, brach. Er stellte in der von ihm gegründeten Ballettschule Almora (Uttar Pradesh) den Tanz in reiner Form in den Mittelpunkt. Der erste choreographierte Film, „Kalpana“, wurde von ihm produziert. Die Verbreitung des modernen Tanzes geht auf die Filmindustrie von Mumbai (Bombay) der fünfziger Jahre zurück. Der moderne Tanz in den Filmen erhielt einen erotischen Touch, der die Filme zum Kassenerfolg führte. Der moderne Tanz in Bollywood ist weder indisch noch europäisch, sondern eine Mischung von beiden, die beim Volk sehr gut ankommt, übrigens auch im indischen Fernsehen.
Schlußfolgerung. Der klassische Tanz hat seinen Ursprung an den Königs- und Adelshöfen und bei den Priestern in den Tempeln. Er ist durch und durch sehr religiös und elitär. Der Niedergang der indischen Aristokratie führte zur Degenerierung dieser Tänze. Nach der Unabhängigkeit Indiens 1947 erlebte die die Klassik eine Renaissance. Der Staat gründete Institutionen zur Wiederbelebung des kulturellen Erbes, und in der Tat erlebte der klassische Tanz in den folgenden Jahren eine Blütezeit und fand auch in den europäischen Ländern etliche Zuschauer. Infolge der Modernisierung der indischen Gesellschaft änderte sich aber die Ausgabepolitik des Staates, die zu Vernachlässigung der kulturellen Einrichtungen führte. Auch die heutige Elite und die Mittelschicht hat kaum Beziehung zur alten Kunsttradition. Die Mehrheit kennt die klassischen Tänze nur noch dem Namen nach. Hinzu kommt, dass der Inhalt der Erzählungen sowie der Gesichts- und Körperausdruck der klassischen Tanzdramen tiefe Kenntnisse der Mythologie voraussetzt, die nur Eingeweihte besitzen, aber nicht der Masse der arbeitenden Bevölkerung. Auch brauchen die Künstler viel Zeit für ihre Ausbildung, die mit großen körperlichen und geistigen Anstrengungen verbunden ist. Eine solche Ausbildung leisten sich nur einige für ihre Töchter in der Erwartung, dass ihr gesellschaftliches Ansehen steigt. Dies ist aber nicht der Fall, denn in konservativen Kreisen wird die Erinnerung an den früheren schlechten Ruf der Devdasi wach. Auch finanziell lohnt sich der Beruf als Tänzerinnen selten. Nur die Besten finden Aufträge in Filmen und Konzerten. Indien verfügt leider nicht über städtische Theater und Spielhäuser wie es in Europa der Fall ist. Umherziehende Natak, Nautangi (Stadttheater, Wandertheater), Kath Putli (Schattenspiele), die Epenerzähler mit Dholak und die Tanzdramen wie Ram Lila und Ras Lila sieht man in den Dörfern nicht mehr. Die Zamindare, die Förderer dieser Spiele und Tänze, die die Materialien und den Platz zum Aufschlagen der Zelte zur Verfügung stellten, sind verarmt, und es fehlt an Zuschauern. Im Gegensatz zu klassischen Musikern, die mit der Hilfe von Radio, Kassetten, CDs, Film und Fernsehen einen sehr großen Zuhörerkreis, auch bei den zahlungskräftigen Indern im Ausland, gewonnen haben, bleibt der alte Tanz mit strukturellen Problemen behaftet. Die Bühne, Kostüme, Masken, Gestaltungsvorschriften, schwerfälligen Tanzbewegungen, Mimen und lange Spielzeit stellen große Hindernisse bei der Anpassung an die modernen Anforderungen dar. Klassische Tanzveranstaltungen finden heute nur noch in den Großstädten für eine ausgewählte Schicht und für ausländische Gäste im Rahmen von Kulturrepräsentationen statt, die der Staat zum größten Teil finanziert. Die bisherige Entwicklung zeigt, dass der klassische Tanz wahrscheinlich auch in Zukunft mehr oder weniger auf staatliche Hilfe angewiesen sein wird.
Literatur:
Das große Lexikon der Musik. Bd. 8. Freiburg i. Brsg. 1982. S. 90Ff
Kaifi, A. Khaliq. Musik in Indien. In: Meine Welt. Jg. 21(2). Köln 2004. S. 16Ff
Khokar, Ashish Mohan. Folk Dance. New Delhi 2003
Massey, Reginald. India's Dances. New Delhi 2004
Die Musik in Geschichte und Gegenwart in 20 Bänden. Sachteil 8. Kassel 1998. S. 754Ff
The New dictionary of Music and Musicians. 2nd Ed. London 2001. S. 260Ff
Einige Daten über Geburt und Tod der hier erwähnten Tanzkünstler gehen auf die Angaben des Bibliothekars Jayaprakash Bengeri der Sanjeet Natak Academy in New Delhi zurück.