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Meine Reisen mit meiner deutschen Familie nach Indien
© Dr. Abdul Khaliq Kaifi
Auf Wunsch von meinem Enkel Luis habe ich eine Zu-sammenfassung meines Lebenslaufs geschrieben, und die-se Arbeit hat mich motiviert, meine Erinnerungen an Indienreisen mit meiner Frau Maria, meinen Kindern Tara, Ina und Jussi und später auch mit den Enkelkindern Dina, Lilia, Luis, Matilda und Adrian aufzuschreiben. Diese Reisen erzählen Geschichten meines Lebens und unvergessliche Erlebnisse meiner Familienangehörigen, die sich teilweise auch noch gerne daran erinnern und sich danach sehnen, das Vergangene in Gedanken noch einmal erleben zu können.
1974 begann unsere erste gemeinsame Reise mit Maria, Tara (damals sechs Jahre) und Ina (drei) nach Indien. Zu der Zeit waren Reisen nach Indien nicht einfach und unge-wöhnlich. Dementsprechend existierten wenige Flugmög-lichkeiten direkt von Deutschland aus. Von Bremen aus fuhren wir mit dem Zug über Osnabrück nach Amsterdam, um von dort aus nach Delhi zu fliegen. Damals war Amsterdam der Angelpunkt für Fernreisen. Das Fliegen zählte zu einer besonderen, aufregenden Erfahrung: die Anspan-nung, das exotische Essen, die prompte Serviceleistung im Flugzeug und die ungewohnten Gesichter von Menschen aus vielen Ländern. In Delhi angekommen sahen meine Frau, Tara und Ina zum ersten Mal sehr arme Menschen, die sich ganz nah am Flughafen aufhielten und teilweise mit Kühen, Schafen und Ziegen unterwegs waren. Elefanten undKamele warteten mit ihren Führern (Mahwats) auf der Flughafenstraße auf Kunden. Wir kamen ins Hotel Vikram in Lajpat Nagar, das, wie uns erzählt worden war, über einen Swimmingpool verfügte. Tara und Ina gingen sofort zum Pool, kamen aber schnell zurück, weil dieser sehr schmutzig war und dort Frösche herumsprangen.
Delhi insgesamt sah auch nicht gerade sauber aus. Die Gesamtbevölkerung betrug weniger als vier Millionen (heute über 22 Millionen). Deren Hauptteil lebte in Old Delhi, entstanden unter Shah Jahan (Shahjahabad), dem Erbauer des Taj Mahals in Agra bei Delhi. New Delhi entstand 1929 als Verwaltungs- und Regierungsstadt Indiens durch die Engländer. Nach Anbruch der Dunkelheit war in Delhi nichts mehr los, und wir fanden dort kein Taxi mehr, um vom Zentrum ins Hotel Vikram, das drei Kilometer entfernt lag, zurück zu fahren.
Herr Gupta, ein Buchverleger aus Delhi, den ich auf der Buchmesse 1972 in Frankfurt kennengelernt hatte, beglei-tete uns überallhin und zeigte uns die dortigen Sehenswür-digkeiten. Er nahm uns an einem Abend mit in eine Mäd-chenschule zu einer Schüleraufführung altindischer Tänze im Freien unter buntgeschmückten Bäumen.
Unsere Kinder werden sich vielleicht nicht mehr daran erinnern, dass wir von Delhi aus eine Tagesfahrt ins 220 Kilometer entfernte Agra unternahmen. Der staatlich be-stellte Reiseführer schlief die meiste Zeit im Bus. Als wir durch die Stadt Mathura am Fluss Jamuna fuhren, die 160 Kilometer von Delhi entfernt liegt, stand er blitzartig auf und erzählte uns kurz etwas über diesen Ort und den Gott Krishna, der hier mit seinen zahlreichen Gopis, den Hirtin-nen, wie ein Radha lebte - und machte dann schnell sein Nickerchen weiter. Wir besichtigten dasberühmte Taj Mahal (heute das meistbesuchte Denkmal der Welt), das Grabmal von Shah Jahan (1592-1666) und seiner Lieb-lingsfrau Mumtaz Mahal (1593-1631). In Agra herrschten damals noch rurale Verhältnisse. Kühe und Büffel grasten in unmittelbarer Nähe des Taj Mahals. Wir wurden mit dem Bus auch zum Grabmal Akbars des Großen (1556-1605) nach Sekunderabad gebracht, das zehn Kilometer von Agra entfernt ist. Ich erinnere mich, dass Tara und Ina dort von Affen verfolgt wurden, die als heilige Tiere respektiert werden. Die Besucher mussten allerdings auf ihre Taschen aufpassen, weil die Tiere gerne etwas klauten. Zum Programm der Busreise gehörte auch der Besuch einiger Ge-schäfte, in die uns der Reiseführer gezielt brachte, und von denen er mit großer Wahrscheinlichkeit eine Verkaufsprä-mie erhielt.
Ein weiteres Ziel von Delhi aus war die Stadt Jaipur, die Hauptstadt der Provinz Rajasthan, 288 Kilometer von Del-hi, die wir in sechs Stunden mit dem Dampfzug erreichten. Ina hatte im Hotel in Delhi einen Schuh vergessen, sodass wir in Jaipur sofort ein paar Schuhe für sie kaufen mussten. Wir gingen danach in ein Hotel, das uns am Bahnhof empfohlen worden war. Die Besitzerin des Hotels war eine Engländerin, die Witwe eines ehemaligen Maharajas von Jaipur. Leider haben wir den Namen des Hotels, in dem wir in einem Gartenbungalow übernachteten, vergessen, aber Maria und ich erinnern uns noch daran, dass es in dem großen Garten des Hotels einen Baum gab, der viele bunte Vögel und Papageien beherbergte, die zur Freude unserer Kinder ständig ein Konzert von Plappern und Zwitschern boten. Wir besuchten den Palast der Winde (Hawa Mahal), hinter dessen Fensterchen (Jarokha) die Frauen der Maharajas das Treiben draußen beobachten konnten, ohne gesehen zu werden. Wir besuchten noch einige andere Pa-läste und gingen zum Einkaufen in die Stadt. Maria kaufte von einem Bauer auf der Straße ein paar Holzfiguren, von denen wir noch eine haben.
Zurück in Delhi, stand uns eine große wichtige Reise be-vor, nämlich nach Shakra, in das Dorf, in dem ich aufge-wachsen bin, das in der Provinz Bihar liegt, 1200 Kilometer von Delhi entfernt. Wir buchten ein geschlossenes eigenes Zugabteil für uns vier. Die Fahrt dauerte über zwei Tage. Damals waren die Züge eingleisig und hielten oft lange an den Bahnhöfen, um einen Zug aus der entgegen-gesetzten Richtung vorbei zu lassen. Wie viel Verspätung er auch immer hatte, wir waren unter uns, bestellten unser Essen an Bahnhöfen, schliefen auf den Etagenbetten und fühlten uns insgesamt wohl. Die Kinder nahmen alles inte-ressiert und gelassen hin. Unsere Ankunft war ein großes Ereignis für das Dorf. Nicht nur unsere Verwandtschaft, sondern viele Dorfbewohner hatten sich am Bahnhof ein-gefunden. Viele von ihnen hatten noch nie einen weißhäutigen Menschen gesehen. Verglichen mit anderen Dörfern war mein Geburtsort Shakra relativ weit entwickelt, er hatte einen Bahnhof, eine Middle- undHighschool, ein Kleinhospital (Dispensary), Polizeistation (Thana), Katasteramt (Registry) und einen Basar. Alle diese Institutionen hatten wir Mister Danby aus Großbritannien zu verdanken, der in Dholi, in der Nähe zu unserem Dorf, Farmland besaß. Wenn er nicht dort gewesen wäre, hätte ich keine Schule besucht und wäre in meinem Leben nicht weitergekom-men.
Unsere Familie hatte sich gut auf uns vorbereitet. Das Haus war frisch angestrichen und eine neue besondere Toi-lette war für uns gebaut worden. Unser Haus war eins der wenigen im Dorf, die seit 1972 über eine Stromleitung verfügten, die allerdings nur gelegentlich und zur unpassenden Zeit funktionierte. So benutzten wir meist Kerosinlampen oder Kerzen. Trinkwasser wurde für uns abgekocht, warmes Waschwasser in einem Eimer von ei-nem Diener, der fast noch ein Kind war, ins Schlafzimmer gebracht. Gekocht wurde im Innenhof des großen Hauses auf einem Tonherd (Chula), mehrere Frauen kümmerten sich um die Tee- und Essensvorbereitung. Sie wurden im Haushalt von zwei namenlosen Menschen unterstützt, von einemHijra (Eunuch) und einer Batahia(taubstumme Frau), die beide im Kindesalter von irgendwoher zu uns gekommen waren, niemand wusste, woher. Sie waren immer mit dem Backen von Fladenbroten (Chapatti) und dem Mahlen von Gewürzen mit einem Mörser auf Steinplatten beschäf-tigt. Es kamen unsere Verwandten nach Shakra mit indi-schen Süßigkeiten und mit einem gackernden Huhnals Ge-schenk, guckten aber heimlich in unser Schlafzimmer, umMaria rauchen und Whiskytrinken zu sehen – dieses westliche Frauenbild vom „Memsahib“ („englische Frau“)war ihnen vermittelt worden. Mem ist eine Verkür-zung von Madam und Sahib bedeutet der Herr, also Frau des Herrn. Es wird in Indien erzählt, dass die Memsahib in ihren Freizeiten die geschmachsvolle Gewürzmischung bzw. Currymasala entdeckten, die heute noch weltweit benutzt wird.
Meine Oma (Nani), die mich großgezogen hat, kümmerte sich nun auch in erster Linie um unsere Kinder. Sie ließ einen Baumkletterer zu uns kommen, der für sie Kokos-nüsse von den Palmen auf unserem Grundstück herunterholen sollte und ließ die Diener Bananen zu Reifezwecken unter angeheizter Erde vergraben. Sie ließ jeden Tag Toast-brot und Kekse aus der 20 Kilometer entfernten Stadt Muzaffarpur kommen. Sie bestellte für uns ein Wandertheater (Nautangi) sowie Affen- und Bärenführer (Bandar- und Bhaluwala) und sogar einen Schlangenbeschwörer (Sapera). Wir erinnern uns, dass Tara und Ina gerne auf Ponys und Büffeln ritten und sich mit den grasenden Zie-gen befassten und sich dabei untereinander stritten, wer die beste Ziege hatte. Tara kam einmal aufgeregt zu uns und erzählte, dass sie eben meine Mutter bzw. ihre Oma beim Blutspucken in Pandani (Spuckpot) gesehen habe. Schnell stellte sich heraus, dass meine Mutter die gekauten roten Betelblätter ausgespuckt hatte. Da ja dort auch Winter war, wurde es am Abend früh dunkel und für die Kinder etwas unheimlich. Spät in der Nacht machte damals noch ein Nachtwächter (Chaukidar) die Runde, der mit einem wei-ten schwarzen Mantel bekleidet und einer Laterne in der Hand singend und laut rufend „Schlafe nicht fest, bleibe wachsam !“ rief. Ich weiß nicht, von wem und wann diese Tradition in Bihar eingeführt worden ist, jedenfalls gab es sie nicht mehr, als wir vier Jahre später zum zweiten Mal Shakra besuchten.
Tagsüber wurde im und ums Haus herum viel gearbeitet. Landarbeiterinnen kamen, um im Vorhof Reis zu dreschen und wenn das Korn von der Spreu getrennt und auf einem großen Haufen gestapelt war, zeichnete meine Oma mit dem Finger ein Hakenkreuz (Swastika) darauf. Sie erklärte, dies gelte als ein Zeichen für eine gute Ernte.
Eine meiner Tanten sagte mir vertraulich, dass unser Haus jede Nacht von einem Zauberer bewacht werde, der uns vor den bösen Geistern (Jin, Bhut) schütze. Sie glaubte daran. Heute erinnere ich mich, dass ich Jahre später in Delhi von einer sehr wohlhabenden Frau gebeten wurde, ihr mit Hilfe meiner Familie in Bihar einen Zauberer zu besorgen, der ihren Sohn von einer Liebschaft mit einem Mädchen aus einer unteren Kaste abbringen oder dafür sorgen sollte, dass das Mädchen irgendwohin verschwand.
Da ich Maria und den Kindern auch etwas anderes als mein Dorf zeigen wollte, nutzte ich die Möglichkeit, die sich neuerdings bot, mit Frau und Kindern mit einem Bus von der nicht allzu weit entfernten Stadt Muzaffarpur aus nach Kathmandu zu fahren. Diese Busse beförderten hauptsächlich die NepalesenundHippies. So hatten wir auch die Gelegenheit,in den Himalaya und in ein anderes Land zu kommen.Von Muzaffarpur sind es über 400 Kilo-meter bis Kathmandu. Wir ahnten aber nicht, dass diese Busreise durch das Gebirge sehr anstrengend sein würde und sich über eine Gesamtzeit von zwei Tagen erstrecken würde. Unterwegs mussten wir an der Grenze zu Nepal in Birganj in einem Hotel, das wir bis heute „Mückenhotel“ nennen, übernachten. Notgedrungen schliefen wir in einem Zimmer mit vielen Moskitos, die die extra bezahlten Moskitonetze nicht von uns abhalten konnten. Auf der anschließenden Fahrt in einem total überfüllten Bus fiel in der Nacht ein Businsasse durch die hintere Bustür herunter in die Tiefe der bergigen Kurve. Der Fahrer fuhr weiter, bis einer der Mitfahrer ihn darauf aufmerksam machte. Maria setzte sich sehr energisch und erfolgreich dafür ein, dass der Vermisste gesucht und zurückgeholt wurde. Ich weiß nicht, ob Tara und Ina sich an die vielen Kurven und das ständige Hupen erinnern, sie hielten sich die ganze Zeit tapfer und waren sich scheinbar der Gefahren nicht bewusst.In Kathmandu gab es zu dieser Zeit wenig Hotels. Wir fanden aber ein gutes, das Hotel Cristol mit „bedtea“ sehr früh vor dem Aufstehen vor dem englischen Früh-stück. Leider mussten wir dieses Hotel nach zwei Tagen verlassen, da es ausgebucht war. Nach längerem Suchen fanden wir ein anderes einfacheres Hotel.Tara wollte aber unter keinen Umständen dort wohnen, griff nach ihrem kleinen Koffer und wollte rausgehen. Der Hotelbesitzer lächelte und wunderte sich sehr über das resolute Verhalten eines sechsjährigen Mädchens. In der Stadt sah man viele Hippies, die vielfach in Zelten oder auf der Straße schliefen und ihren Frieden in einer Art Marihuana (Bhang) suchten. Wir sahen uns die Königspaläste, Tempel, Pago-den an und gingen am Ufer des Bhagmati entlang, des den Buddhisten und Hindus heiligen Flusses, in dem sie die Asche ihrer Toten beisetzen. Ob sich unsere Kinder an die-se Orte noch erinnern? Maria bestand aus Sicherheitsgrün-den darauf, für die Rückreise nach Indien statt des abenteuerlichen Busses einen Flug zu nehmen. Von der Propellermaschine aus den Himalaya von oben zu sehen war ein besonderes Erlebnis. Die Flugmöglichkeit von Kathmandu nach Raxaul in Bihar war erst vor kurzer Zeit eingerichtet worden. Der Flug dauerte nur eine halbe Stunde, und wir kehrten nach Shakra zurück.Nach einem kurzen Aufenthalt dort machten wir uns bereit für die Weiterreise über Varanasi nach Bombay (heute Mumbai) und nahmen Ab-schied von meiner Familie, insbesondere von meiner Mutter - mein Vater war ja schon 1971 gestorben - und auch von meiner Großmutter, die ja schon sehr alt war. Die Verwandten weinten sehr und befürchteten, dass sie uns nie wiedersehen würden. Auch Maria blieb nicht unberührt von der Warmherzigkeit meiner Familie. Ihr fiel die Tren-nung schwer und sie brachin Tränen aus.
Von Shakra nahmen wir den Abendzug nach Benares, wie Varanasi damals hieß.Für die 240 Kilometer hatten wir wieder ein Zugabteil für uns. In Shakra hatte man uns vor-sichtshalber ein paar Kerzen für die Fahrt im dunklen Zug mitgegeben. Früh am Morgen erreichten wir unser Ziel. Zunächst hielten wir uns im „Restroom“ des Bahnhofs mit üppigen Schlafmöglichkeiten auf. Seit der englischen Kolonialzeit gab es an den großen indischen Bahnhöfen diese Räume für britische Beamte.
Als wir ein Taxi gefunden hatten, fuhren wir erst nach Sarnath, 10 Kilometer von Varanasi entfernt, das auch am Ganges liegt, berühmt, weil Gautama Buddha (563-483 v. Chr.) dort predigte. Berühmt ist hier die Ediktensäule so-wie das Löwenkapitell des buddhistischen Kaisers Ashoka (304-232 v. Chr.), letzteres dient als Wahrzeichen des indi-schen Staates auf der Nationalflagge und auf den Banknoten.
Dann kehrten wir nach Varanasi zurück, die die heiligste Stadt des Hinduismus ist und besuchten die Orte am Ufer des Ganges (Ghat), wo es Stellen zum Baden (Ashnan) und zur Leichenverbrennung (Marghat) gibt. Maria kaufte im Basar von Varanasi Seidenstoffe, die dort seit Jahrhunder-ten gewebt werden. Nachmittags besuchten wir Benares Hindu University, gegründet 1915 von Pandit Madan Mohan Malaviya. Sein Enkel studierte mit mir zusammen in Köln und um diese Zeit lehrte er dort. Wir trafen uns auf dem Campus mit seinen Familienmigliedern auf Pakora, Samosa und Tee.
In Varanasi stiegen wir in den Zug nach Mumbai, 1480 Kilometer entfernt. Es begann für uns wieder eine lange Reise, die zwei Tage und Nächte dauerte. Tagsüber beo-bachteten wir das Gedränge und Treiben von Menschen an den Bahnhöfen, erlebten die Geschäftstüchtigkeit der Betelblätter,- Keks-, Erdnuss-, Bananen-, Pakora-, Samosa- und Teeverkäufer, der Walas, wie es auf Indisch heißt, die oft bis zur nächsten Station in den Zug kamen und ihre Waren anboten. Wir hörten und sahen einen „Jari Booti Wala“ (Heilkräuterverkäufer), einen „Alha Rudel“ (Erzäh-ler epischer Geschichten), einen Sänger mit dem Saitenin-strument Sarangi oder Trommeln (Dholak), Sadhus und Fakire auf Pilgerfahrt. Im Zug spielt sich ein Teil des wah-ren Indiens ab. Gandhi hat dadurch, dass er mit dem Zug durch Indien reiste, das Volk für den Freiheitskampf mobi-lisieren können. Auch Maria und unsere Kinder lernten dadurch vielfältige und faszinierende Seiten Indiens haut-nah kennen. In Mumbai angekommen gingen wir ins Hotel Chateau am Churchgate am Arabischen Meer, das wie un-ser Hotel in Jaipur auch von einer Engländerin betrieben wurde, die uns ein Frühstück mit Eiern und Speck (eggs and ham) nach englischer Art servieren ließ. Ich zeigte Maria und meinen Kindern das Wilson College, an dem ich früher studiert habe. Es wurde 1832von englischen Missionaren am Chowpaty gebaut worden ist. Danach fuhren wir mit einem Doppeldeckerbus zum Haji Ali Dargah, einem moslemischen Zentrum, wo ich während meiner Kindheit zeitweilig mit meinen Eltern gelebt habe. Es liegt ein Stück weit im Meer und man erreicht es über einen Steg.Wir bummelten am Flora Fountain vorbei, zum Colaba Market und besuchten das Taraporewala Fisch Aquarium am Mari-ne Drive.
Schließlich trafen wir Yahya Jasdanwala in seinem Büro in Flora Fountain, einen Großgeschäftsmann und Agentender British Petroleum Company in Indien und langjähriger Freund meines Vaters. Er besorgte mir 1956 nach der Beendigigung meines B.A. Studiums am Wilson Collegeeine Stelle bei British Petroleum Company in Qatar. Er freute sich sehr, dass er zu meiem Erfolg beitra-gen hat. Er unterhielt sich gerne mit Maria, er war mehrere Male in Deutschland gewesen.
So verbrachten wir über fünf Wochen in Indien. Fast die ganze Zeit blieben die Kinder gesund. Maria hatte sich schon in Deutschland medizinisch gut vorbereitet, dafür gesorgt, dass die Kinder ausreichend Impfschutz hatten und dass sie und wir in Indien nichts Ungekochtes zu uns nahmen. Vielleicht lag es auch daran, dass die damaligen Kinder nicht so empfindlich und an Luxus gewöhnt waren, wie heute.
1978 reisten wir wieder mit der ganzen Familie nach In-dien und diesmal war Jussi dazugekommen, damals war er drei, Tara zehn und Ina sieben Jahre alt. Wir flogen mit der Air India von Frankfurt über Moskau nach Delhi. Ich weiß nicht, warum die Air India damals diesen Umweg flog, vielleicht wegen des billigeren russischen Öls. Kaum waren wir von Frankfurt abgeflogen, erfuhren wir, dass unsere Maschine wegen des schlechten Wetters nicht direkt nach Moskau könne, sondern erst in Helsinki landen würde. Dort angekommen saßen wir stundenlang im dortigen War-tesaal ohne eine Erfrischung zu bekommen. Schließlich kamen wir spät in der Nacht hungrig in Moskau an. Wie wir erfuhren, war das schöne indische Essen vom russi-schen Personal gestohlen worden, aber nach Protesten der Flugpassagiere gab es endlich um drei Uhr in der Nacht eine Bratwurst mit Kartoffelsalat. In der Flughalle sprachen wir kaum miteinander, andere Fluggäste hatten uns gewarnt, das dort alles abgehört werde. In Delhi kamen wir mit einer Verspätung von zwölf Stunden an.
Dieses Mal brauchten wir kein Hotel, sondern wohnten bei meinem Freund Yogesh in SafdarGanj. Kennengelernt hatte ich den Weltenbummler Yogesh während meiner Stu-dienzeit in Köln. Hinter seinem Haus befand sich ein Park (Maidan), in dem sich an einem der Tage, die wir dort verbrachten, eine Menschenmenge versammelte, die aus allen Teilen des Landes teilweise mit Bussen herbeigekarrt worden war, um laut mit Parolen wie „ Zindabad und Murdabad“ einem indischen Politiker zum Wahlsieg zu verhelfen. Ich fragte unseren Freund, wer diese Schreier seien. Er sagte mir, es seien Menschen aus den Nachbar-staaten Haryana und Punjab, die kostenlos hierher gebracht worden seien, um zu schreien, wobei sie selbst nicht wüss-ten, für wen. So ergibt sich für diese Menschen eine kos-tenlose Möglichkeit, nach Delhi zu kommen, und wenn sie sich nicht beeilen, verpassen sie den Bus für die Rückkehr nach Hause. Ironisch fügte er noch hinzu: „Indien ist ein Land der unbegrenzten Möglichkeiten. Man kann hier jederzeit Menschen zum Weinen an einem Grab bestellen“. Zu dieser Zeit suchten wir dringend einen Arzt, der Jussi die zweite Impfung gegen Cholera geben sollte, die erste hatte er schon in Bremen bekommen. Nach der Spritze bei dem Arzt in Delhi schwoll Jussi Oberschenkel an, da der Arzt die von uns aus Deutschland mitgebrachte Nadel nicht benutzt, sondern seine eigene nicht desinfizierte genom-men hatte. Wir machten uns deswegen Sorgen, stellten aber bald fest, dass die Schwellungverschwand und er sich wie-der gesund bewegte.
Nach dieser Panne fuhren wir nach Shakra, blieben aber nicht lange dort, da vor kurzem meine Oma (Nani) gestor-ben war.
Von Shakra aus fuhren wir diesmal über Siliguri in den Himalaya, nach Darjeeling, das 395 Kilometer von Shakra entfernt liegt. Als wir in Siliguri auf den sogenannten Toy Train nach Darjeeling,warteten, wunderten sich Tara, Ina und Jussi sehr, wie die frechen Krähen aus einer unserer Taschen die Kekse rauspickten und fraßen. Darjeeling liegt nur 88 Kilometer von Siliguri entfernt. Die Bahnlinie nach Darjeeling durch den Himalaya wurde zwischen 1879 und 1881 von den Engländerngebaut, sie verfügt lediglich über eine Spurweite von 610 mm. Aufgrund der zahlreichen Kurven im Gebirge dauert die Fahrt nach Darjeeling acht Stunden. Auf einer Zwischenstation stieg ich aus dem Zug, um etwas am Bahnhof zu kaufen. Dabei merkte ich nicht, dass der Zug wieder abfuhr. Maria und die Kinder schrien laut und machten den Lokführer darauf aufmerksam. Er fuhr rückwärts, bis ich in den Zug einsteigen konnte, und wir waren wieder glücklich zusammen und stillten unseren Durst mit der dort gekauften Ananas.
An der Endstation Darjeeling warteten viele Sherpafrauen auf die Fahrgäste, Gepäckträgerinnen, von denen uns zwei in eins der dortigen Hotels brachten.Darjeeling liegt 2.200 Meter über dem Meeresspiegel, es ist kalt dort. Nach dem Ende der Kolonialherrschaft 1947 sah man kaum mehr Engländer dort und die Inder vermieden die dortige Kälte, so befanden sich die dortigen Hotels in schlechtem Zu-stand, vielfach ohne Strom, Wasserleitung, Heizung und moderne Einrichtung. Wir hatten eines davon, schliefen ganz eng beieinander, um uns gegenseitig zu wärmen. Wir sahen im Ort viele Hippies, die irgendwo billig hausten und von der Bevölkerung gemieden wurden. Überall las man vor dem Eingang der Restaurants „No hot water and soup today“. Darjeeling ist eine sehenswerte „Hill Station“ mit ihren englischen Gebäuden, Kirchen, Schulen, Interna-ten, dem Zoo und Friedhöfen. Wir besuchten einiges davon und waren innerhalb weniger Tage unter den dortigen Menschen auf dem Basar bekannt. Einmal wollten Tara und Ina ohne uns zum Einkaufen gehen, sie gingen zum Basar, aber wir verfolgten sie heimlich. Die einzelnen Basari beobachteten die Mädchen und sagten uns, wo die Kinder jetzt seien. Jussi hatte leider im Zug irgendwo sei-nen Daumen gequetscht, aber er war noch Daumenlutscher, so sehr, dass er im Hotel zu Maria sagte:Mama bitte sag Ina, dass sie mir ihren Daumen zum Lutschen gibt.
Nach dem Aufenthalt in Darjeeling fuhren wir zurück über Hajipur nach Patna, 400 Kilometer weit entfernt. Pat-na ist die Provinzhauptstadt von Bihar. Dort lebte meine Schwester Gurya mit ihrer Familie. Um nach Patna zu kommen war es erforderlich, in Hajipur mit dem Dampfer den Ganges zu überqueren. Der alte Dampfer war derart mit Menschen und Tieren überladen, dass wir auf Anwei-sung des Kapitäns ständig nach links oder rechts rücken mussten und fürchteten, unterwegs im Ganges zu versin-ken. Zu Ashokas Zeit hieß die Stadt Patna „Patliputra“, zu der MogulnzeitAzimabad, der jetzige Name stammt aus der Zeit der englischen Kolonialherren. Außer einigen we-nigen Ausgrabungen aus vorchristlicher Zeit gibt es dort wenig zu sehen. Belegt ist, dass das alte Patliputra während der glorreichen Zeit von Chandragupta von Megasthenes (350-290 v. Chr.), dem Gesandten von Seleukos 1 besucht wurde, heute ist die damals bedeutungsvolle Stadt im Gan-ges versunken. Es gibt in Patna ein neu errichtetes Museum, ein im viktorianischen Stil gebautes Sekretariat,ein Gouverneurshaus, den High Court, ein Lady College, lau-ter Sehenswürdigkeiten, die von den Engländern errichtet worden sind. Für die Kinder schien der Markt interessant zu sein. Sie kauften sich dort Armbänder aus Glas (Churis) und Ohrenringe.Von dort nahmen wir uns eine Kutsche und fuhren am prächtigen Gouverneurshaus vorbei, stießen auf einen Vogelfänger, der mit seinen sprechenden Papageien die Kinder auf den Gedanken brachte, einen davon mit nach Deutschland zu nehmen, wovon wir sie u. a. wegen der Export-/ Import- restriktionen abhielten. Die Zeit in Patna im Haus ihrer Tante war für die Kinder natürlich auch unterhaltsam, ständig kamen andere Besucher. Es waren auch mehrere junge DienerInnen im Haus, die wir teilweise schon in Shakra kennengelernt hatten.
Unsere nächste Station sollte Mumbai sein, d. h. 1450 Ki-lometer Zugreise, da es damals kaum Binnenflüge gab. Wir waren aber inzwischen daran gewöhnt, konnten aber in Patna kein eigenes Abteil für uns bekommen. Also reisten wir in der dritten Klasse des damals eingeführten Janta Express (Zug für die Masse) mit Etagenbetten. Was während unserer Fahrt passierte, hat keiner von uns vergessen. Wir befreundeten uns mit ein paar Männern im Zug, die, wie sie sagten, auch nach Mumbai fuhren. Als wir uns zum Schlafen hinlegten, beauftragte ich sie, auf unsere Koffer aufzupassen, da sie nur Sitzplätze hatten, wir also davon ausgingen, dass sie wach blieben. Als wir in Mogulsarai wach wurden, war einer unserer Koffer weg, und zwar ein großer. Ich erfuhr, dass die Leute, denen ich die Aufsicht der Koffer anvertraut hatte, um Mitternacht am Ort Buxur, mit unserem Koffer ausgestiegen waren. Gott sei Dank, der Koffer enthielt nicht unsere Einkäufe und Geschenke, sondern zum größten Teil unsere schmutzige Wäsche. Dieser Ort Buxur ist in unserem Gedächtnis geblieben, da von diesem Ort in meiner indischen Familie häufig gesprochen wurde. In Buxur war nämlich mein Großvater, der Freiheitskämpfer war, zusammen mit dem späteren ersten indischen Präsidenten Rajendra Prasad (1884-1963) im Gefängnis gehalten worden. Es geschah noch in derselben Nacht etwas Interessantes unterwegs.
Eine Bauernfamilie (Mann, Frau, zwei Kinder) reiste mit dem gleichen Zug und kochte auf einem Kerosinherd (Stove) im Gang des Zuges ihre Mahlzeit. Maria sah das mit Entsetzen und in dem Gespräch mit den Leuten erfuhr ich, dass sie in die falsche Richtung fuhren. Maria wurde noch aufgeregter und bat mich, dem Bauern zu sagen, dass sie an der nächsten Haltestelle aussteigen sollten, um in den richtigen Zug umzusteigen. Daraufhin antwortete der Bauer „O, Herr, erst essen wir das eben Gekochte, dann schlafen wir und danach steigen wir am helllichten Tag irgendwo aus“. Maria war sprachlos über diese Gelassenheit des indischen Bauerns. Ich dachte aber in diesem Moment an ein Zitat von Rudyard Kipling (1865-1936), dem Kenner Indiens und Autor der berühmten „Jungle Books: „East is East, West is West, and they will nevercometogether“. Die-se wahre Beschreibung Indiens in Kurzform blieb in meinenGedanken, bis wir in Mumbai ankamen. Dort hatte mein Studienfreund aus meiner Zeit am Wilson College, Prakash,für uns eine Aufenthaltsmöglichkeit im Automobile Club of India am Malabar Hill arrangiert. Ganz in der Nähe des Klubs lagen die Hanging Gardens und der Kamala Nehru Park mit Spielplätzen für die Kinder. Prakash wollte uns Mumbai mit seinem Auto zeigen, aber die Kinder wollten die Stadt von oben mit dem Doppeldecker-bus erkunden. Jussi war zum ersten Mal in Mumbai, so zeigten wir ihm mein College und Haji Ali, wo ich früher einmal mit meiner Familie gewohnt hatte. Maria und ich erinnern uns noch daran, dass Prakash uns mit seinem Auto nach Johu Beach in Santa Cruz fuhr, um uns den berühm-ten Strand zu zeigen. Unterwegs übergab sich Jussi im Auto, er hatte im Swimmingpool des Automobile Klubs Wasser geschluckt. Es wurde aber alles schnell beseitigt, und er erholte sich schnell. Ein weiterer Freund von mir, der ein Uhrengeschäft hatte er hieß Ghadialiwalalud uns im Vic-toria Garden in Byculla zu einem Picknick mit seiner Familie ein und zeigte den Kindern den Zoo. Er nahm uns auch zu einer Tanzveranstaltung in seinem Klub mit, wo eine Tanzgruppe aus Gujarat den typisch gujratischen Stocktanz aufführte. Fast täglich trafen wir uns in Mumbai mit meinem Freund Fakhru von früher aus dem Crawford Market, der uns im Automobile Club of India mit Obst versorgte. Am Ende der insbesondere für unsere Kinder erfolgreichen Reise stand der Abflug vom Flughafen in Mumbai, der sich zeitlich verzögerte,weswegen die Air India uns Käsehäppchen servierte. Ina hatte sich die ganze Zeit über in Indien nach Käsebroten gesehnt und rief laut durch die ganze Halle: „Oh wie lecker!“
1993 – 15 Jahre später – waren wir wieder alle zusammen in Indien. Inzwischen waren die Kinder erwachsen gewor-den und die zwei älteren lebten nicht mehr zu Hause. Tara war schon Medizinstudentin, Ina studierte Journalismus und Jussi bereitete sich auf sein Abitur vor. Inzwischen machten die Kinder eigene Reisen und fuhren auch ohne uns auf Austausch-, Bildungs-, Klassen- und Erholungsrei-sen ins Ausland. Irgendwann drängten sie uns, nochmal mit der ganzen Familie nach Indien zu reisen, um meine Eltern und Verwandten, das Dorf und Land und Leute nun als Erwachsene zu erleben.
Maria, Jussi und ich flogen erst von Amsterdam über Delhi nach Calcutta, jetzt Kolkata. Mit Tara und Ina woll-ten wir uns zwei Tage später in Kolkata treffen. Es war 2.00 Uhr, als wir in Kolkata landeten, blieben aber auf dem dortigen Flughafen sitzen, da wegen der Gefahr, beraubt zu werden, in der Nacht kein Taxi fuhr. Nach der Morgendämmerung bekamen wir schließlich ein uraltes Taxi. Die Taxifahrt bis zu unserem Hotel in der Circular Road, ca. 15 Kilometer, blieblebensbedrohlich. Jussi aber amüsierte sich sehr über die trickreichen Fahrkünste des Fahrers und wie er den Wagen im Schleudergang durch das Verkehrs- und Menschengewühl steuerte, mit seiner lauten Hupe die in Hauseingängen und auf Gehwegen schlafenden Menschen weckte, sein ständiges Ausspucken von Paanzeug durch das offene Autofenster nicht zu vergessen. Unser Hotel auf der Circular Road lag in der Nähe des Hospizsder Mutter Teresa. Am nächsten Tag schlossen Tara und Ina sich uns in Kolkata an, sie waren über Mumbai gekommen.
Kolkata (Hauptstadt von West-Bengal) liegt am FlußHugli, einem Arm des Ganges. Sie ist die interessanteste Kolonialstadt Asiens. Schon 1690 von der East India Company gegründet, war sie bis zum Jahre 1911 die Hauptstadt Indiens und die Machtzentrale des englischen Imperiums in Asien und Afrika. Wir sahen uns die Stadt zunächst selbstständig an, angefangen mit der Town Hall, dem General Post Office und Writers‘ Building, das1777 für die Schreibkräfte der East India Company errichtet wurde. Gemeinsam machten wir eine Stadtrundfahrt mit dem Bus und sahen die ehemals schönen Häuser der Engländer am Dalhousie-Platz und der Chowranghee Road sowie später das mit Marmor gebaute Denkmal der Queen Victoria (1819-1901). Wir besichtigten auch den Tempel der Göttin Kali, der bösen Göttin mit der langen Zunge und mindestens vier Armen. An einem Tag gingenMaria, Jussi und ich zur Howrah Ponton Brücke, die 1943von den Engländern über den Fluss Hugli gebaut wurde. Sie galt damals mit einer Länge von 705 Metern als die sechstlängste Brücke der Welt.
Von dort aus wollten wir mit einem Shuttleboat den Hugliüberqueren, um uns die alten Sehenswürdigkeiten aus der englischen Zeit anzusehen. Als die Fähre am Anlegesteg anhielt, stiegen Jussi und ich sofort ins Boot ein, Ma-ria aber schaffte es in der Menschenmenge nicht so schnell, hinter uns einzusteigen und die Fähre fuhr los – ohne sie. Jussi und ich konnten nicht mehr aus der Fähre rausspringen und fuhren weiter bis zur Anlegestelle auf der anderen Seite des Hugli und warteten, bis die nächste Fähre ankam, aber Maria war nicht dabei und so gingen wir zum Ur-sprungsort der Fähre. Maria war leider nicht mehr dort. So kamen wir besorgtins Hotel zurück, stellten aber zu unserer Überraschung fest, dass Maria schnell den Weg dorthin gefunden hatte. Sie erzählte uns, dass sie unterwegs sofort eine Gruppe von Nonnen getroffen habe, die in die fast gleiche Richtung der Circular Road gingen, vielleicht zu Mutter Teresa. Das war ein happy end der Geschichte. Eine andere Geschichte in unserem Hotel endete weniger happy. An einem weiteren Tag unseres Aufenthalts vermisste ich meine im Flugzeug gekaufte Whiskyflasche und fragte die Kinder, ob sie sie irgendwo aus Spaß versteckt hätten, sie jemandem geschenkt oder selbst ausgetrunken hätten. Sie hatten keine Ahnung. Da entdeckten wir einen sehr jungen Angestellten des Hotels betrunken und bewusstlos am Boden liegend, die Whiskyflasche neben sich. Dieses Ereignis sorgte im Hotel für große Aufregung, der junge Mann war ein Verwandter des Hotelbesitzers. Ich weiß nicht, was später mit ihm geschah. Täglich sterben so viele Menschen durch Alkohol in den Städten Indiens, aufgrund von Frust-ration, Hilflosigkeit und Unterdrückung. Als wir Kolkata Richtung Shakra verließen, sahen wir eine andere Art von Not: Am Howrah Bahnhof unzählige Flüchtlinge aus Bang-ladesh, die dort in großem Elend lebten.
In Shakra lebte nur noch meine Großmutter,meine Mut-ter, Tante und Schwägerin, die sich um uns kümmerten. Ina machte ein paar Bilder von unseren Verwandten, unserem Haus und dem Dorf. Sie veröffentlichte diese in ihrem Artikel „Das Dorf meines Vaters“ im ADAC-Reise-Magazin vom Jahr 2006, Nr. 90.
Von Shakra aus fuhren wir nach Damla, 120 Kilometer entfernt, wo meine jüngere Schwester Tara wohnt. Immer wenn wir in unserem Dorf gewesen waren, besuchte sie uns mit ihrem Mann und bat uns jedes Mal, nach Damla zu kommen. So entschieden wir uns, zu ihr zu fahren. Das Dorf Damla liegt in Nord Bihar am Fluss Bhagmati, nicht weit von Nepal. Es gehört zum Überschwemmungsgebiet zahlreicher Flüsse aus dem Himalaya. Aufgrund der fehlenden Straßen fuhren wir mit einem altmodischen Jeep auf Feldwegen und holprigen Dämmen, die Fahrt dauerte über acht Stunden. Im Dorf herrschten mittelalterliche Verhältnisse, nur einige Großgrundbesitzer (Zamindare) hatten dort das Sagen. Ganz in der Nähe liegt der Ort Champaran, wo 1917 der erste Aufstand (Satyagraha) von Mahatma Gandhi gegen die dortigen englischen Plantagenbesitzer von Indigo stattgefunden hat.Auch ich sah zum ersten Mal die Adivasis (Ureinwohner), die halbnackt auf den Feldern der Zamindare arbeiteten, auf dem Boden schliefen und sich von Mäusen und Ratten ernährten. Der Mann meiner Schwester und seine Kinder hatten alles für uns vorbereitet, eine Extratoilette war da, und das Haus wurde mit einem Generator beleuchtet.Ein Fischer (Mallah) wurde bestellt, um aus dem Dorfteich Fische zum Grillen rauszuholen. Wir entdeckten, dass dort Marihuana (Bhang) wuchs, die Pflanze kam ursprünglich durch Vogelkot und Wind aus Nepal nach Damla. Tara und Ina wollten gerne davon etwas abschneiden und nach Deutschland mitnehmen, wir hielten sie natürlich davon ab. Es sei hier erwähnt, dass Damla liegt im Gebiet von Tirhut, seit Jahrhunderten für die Maithli Brahmanen, die als Tempelpriester weltweit arbeiten, bekannt. Während der britischen Herrschaft nahmen diese die moderne Bildung in Darbhanga und Patna auf und wanderten in großer Zahl nach Nordamerika aus.
Von Damla legten wir mit dem gleichen Jeep die 130 Ki-lometer nach Patna zurück. Wir saßen sehr eingeengt im Jeep, da er mit Getreide aus den Feldern von Damla für meine andere Schwester Gurya in Patna überladen wurde. Unterwegs musste der Jeep öfter anhalten, um repariert zu werden. Aus welchen Gründen auch immer Jussi unterwegs krank wurde, eine Art von Schüttelfrost bekam, wussten wir genauso wenig wie, wo er sich infiziert hatte, ob in Kolkata oder in Bihar auf dem Land. So schnell es mit unserem Gefährt ging, erreichten wir Patna, es dauerte weniger lange als in früheren Zeiten, da die Mahatma Gandhi Brücke über den Ganges mit ihrer Länge von 5730 Meteren 1982 fertig geworden war.
Bei Gurya in Patliputra Colony von Patna lebten wir im-mer gerne, es ist der sauberste Stadtteil von Patna, dort wohnen hauptsächlich die Staatsbeamten und Großzamindare aus der ganzen Provinz Bihar. Vor der Wohnung meiner Schwester Gurya stand ein prächtiges Haus, das ich vorher nicht gesehen hatte. Ich fragte Gurya danach. Sie sagte mir, das Haus gehöre einem der Ingenieure der Mahatma Gandhi Brücke und das ganze Baumate-rial stamme von dieser Brücke. Sie meinte, es sei schade, dass ihr Mann Lehrer und nicht Ingenieur geworden sei, sonst hätten sie auch ein so schönes Haus gehabt. Kein Wunder, dass diese Mahatma Gandhi Brücke ewig repariert wird. Wir wurden nun auch sehr vertraut mit Guryas Hauspersonal Juhia, Gulfan, Mister und auch Bathaia, die stumm und taub war. Alle bemühten sich sehr um unser Wohl. Wir gingen ins Stadtzentrum zum Gandhi Maidan, Patna Market und Patna Museum, eines der bedeutendsten Museen mit buddhistischen Fundstücken und besuchten das Planetarium (Tara Mandel) und das Holy Kurji Hospi-tal (Missionskrankenhaus der Frauen), in dem einer meiner Vetter als Arzt arbeitete. Wir gingen zu der Saint Michael School, der größten Missionsschule von Patna, und gaben dem Head Master persönlich eine Spende eines deutschen Verwandten für die ärmeren Kinder. Später erfuhren wir, dass die Missionsschulen hauptsächlich von den reichen Kindern in Patna besucht werden. Da wir nun schon mal in Patna waren, planten wir von dort eine Tagesreise zu dem Ort Bodhgaya, nur 96 Kilometer von dort entfernt, zur heiligsten Stätte des Buddhismus.Der Reisetag war heiß und so gab uns Gurya zum Verzehr lediglich Bananen und ge-kochte Eier mit. Zuerst brachte der Chauffeur uns nach Pawapuri, dem Wirkungsort von Mahavira Jain, dem Gründer der Jainareligion, bekannt für seine Lehre von der Gewaltlosigkeit (Ahimsa), die zeitgleich mit dem Bud-dhismus aufkam. Diese Religion hat nur etwa fünf Millio-nen Anhänger, aber sie ist die reichste Religionsgemeinschaft Indiens. Wir sahen das Meditationshaus und den Teich voller Fische, die als heilig gelten. Danach fuhren wir nach Bodhgaya, sahen den Bodhi-Baum, unter dem Buddha um 534 v. Chr. seine Erleuchtung erlangte, den Mahabodhi-Tempel und den Bodhi-Teich mit den Lotus-blüten. Dort befanden sich eine Menge armer Pilger aus Nepal, Sri Lanka und Tibet, die teilweise zu Fuß dorthin gekommen waren, sich selbst ihr Essen kochten und auf dem Boden schliefen. Als wir unsere Essenssachen aus dem Kofferraum herausnahmen, waren sie durch die Hitze fast ungenießbar geworden. Wir traten unseren Rückweg nach Patna an und machten noch einen kurzen Aufenthalt in der Stadt Gaya, um etwas Obst zu kaufen.
Unser Fahrer holte uns anschließend mit dem Auto ab und fuhr in einer rasanten Geschwindigkeit los, ohne uns etwas über den Grund seiner Eile zu sagen. Weit weg von der Stadt hielt er an und wartete auf einen anderen Fahrer. Dann erfuhren wir, dass er beim Einparken an seinem Auto einen Blechschaden verursacht hatte, während wir auf dem Obstmarkt waren. Wenn das ein Verkehrspolizist gesehen hätte, hätte er uns aufgehalten und eine Menge Geld erpresst. So einigten sich die Fahrer einvernehmlich. Die ist in Indien eine Methode, sich vor dem Staat und seinen Rechtsorganen zu schützen.
In Patna ging unser Aufenthalt dem Ende zu. Schweren Herzens verließen wir meine Schwester und ihre Familie in Patna. Tara und Ina wollten etwas freier sein und mehr von Indien sehen und fragten mich nach einem sehenswürdigen Ort, der zwischen Patna und Mumbai liegt. Leider gibt es nicht viel Sehenswürdiges in der Nähe. Ich empfahl ihnen die Stadt Allahabad, auch Prayag genannt, 1583 von Akbar dem Großen gegründet und weltbekannt für ihr alle zwölf Jahre stattfindendes Nektarkrugfest (Kumbh Mela) mit über 150 Millionen Besuchern am SangamTriveni, dem Ort, an dem drei Flüsse zusammenfließen, nämlich der Ganges, der Jamuna und der unsichtbare Saraswati. Hier befindet sich das Elternhaus von Jawahirlal Nehru (1889-1964) und KhusrauBagh mit den Mausoleen der Moguln. Ein Zug von Patna fuhr auch direkt dorthin, es waren nur 160 Kilometer, und wir vereinbarten, die beiden wieder in Mumbai zu treffen. Was sie sich in Allahabad angesehen haben, daran erinnere ich mich nicht mehr, wohl aber da-ran, dass wir uns wie vereinbart an dem bestimmten Tag im Café Leopold in Colaba, dem damals beliebtesten Treff-punkt europäischer Touristen in Mumbai wieder trafen. Das von uns schon vorher gebuchte Hotel war ganz in der Nähe des Leopold Cafés auf Colabamarket, dem meistbesuchten Markt von Mumbai. Mumbai ist die Hauptstadt von Maharashtra, von den Engländern als Hafenstadt im Südosten Indiens gegründet. Weil traditionelle Geschäftsleute aus Gujarat(Banias, Jains und die moslemischen Bohras, Khojas (Agakhanis) und Memons, sowie die Par-sen(Zoroastrian), Einwanderer aus Persien, hierherkamen, entwickelte sich Mumbai als eine kosmopolitische und wirtschaftliche Stadt. Dort gründeten die Kolonialherren ihre Textilfabriken, Joint Stock Companies (Aktiengesell-schaften) und trieben ihre Geschäfte mit China und handelten mit Opium, Alkohol, Tabak und Textilwaren. Alle diese o.g. Geschäftsleute blieben weitgehend Treu und Partner des britischen Imperiums. und Auch unser Hotel Godwin war moderner eingerichtet als man es anderswo in Indien zu sehen bekommt. Da unsere Töchter und unser Sohn jetzt im erwachsenen Alter waren, besuchten sie mitgroßem Interesse die Sehenswürdigkeiten der Stadt wie z. B. das Victoria Terminal (jetzt Shivaji Bahnhof), 1888 imindo-sarazenischen Stil gebaut,das Gate ofIndia (Triumphbogen an der Uferpromenade), der 1911 anlässlich des Besuches des Empfang desKönigs George V. und Queen Mary errichtet wurde. Sie fuhren mit der Fähre zu den Elephanta Höhlen, 10 Kilometer vom Gate of India entfernt, bekannt durch die dortige sieben Meter hohe Skulptur von Shiva aus dem 7. und 12. Jahrhundert. Inzwischen waren einige meiner früheren Freunde, z. B.Ghadialiwala und Fakhru leider gestorben. Prakash mitseiner Frau Shantu und seiner Tochter Anjeli, die jetzt in New York verheiratet lebt, be-suchten uns immer wiederim Hotel und luden uns zum Abendessen in einem Hotel in Malabar Hill ein.
Mit den Erlebnissen in Mumbai endete unsere gemeinsa-me Reise Indienreise. Ob wir wieder einmal mit drei Kin-dern zusammen nach Indien fahren werden, wer weiß? Aber wenn nicht auf diese Weise zusammen, so setzten wir unsere Reisen nach Indien mit unseren Töchtern und deren Kindern fort.
1996 besuchte Tara Indien mit ihrem Freund und besuch-te mich in Patna, als ich mich dort aufhielt. Ihr Besuch war dort kurz, aber dennoch schafften wir es, einiges in Patna zu sehen. Was, weiß ich im Einzelnen nicht mehr genau, jedenfalls Kumhara, die alte Ruinenstadt von Kaiser Askoka (304-232 v. Chr.). Tara ging gerne allein los, nicht nur zum Einkaufen auf dem Patna Market, sondern interes-sierte sich auch für Dinge, die sie noch nicht kannte (z. B. Tara Mandel).Meine Schwester Gurya erzählte mir von Tara sehr rührend, dass sie in ihren Sparkrug viele Charrinis, die Halbsilbermünzen (Viertel einer Rupee) heimlich hineinsteckte.
Um diese Zeit besuchten mich in Patna ca. 15 Reisende aus Deutschland mit Dr. Just, dem Leiter der evangelischen Akademie a. d. Ruhr. Die Reisenden in Patna warenin Ho-tels, in einem einfachen Studentenheim und im Haus meiner Schwester untergebracht, um die indische Lebensweise kennenzulernen. Wir reisten zusammen nach Rajgir und Nalanda, der ältesten buddhistischen Universität der Welt.Sie wurde von chinesischen Mönchen wieFahian und Yuan Zeng bereits im 4. und 7. Jahrundert besucht, um dort dieheiligen Texte zu lernen und nach China zu bringen. Wir trafen auch in Patna die Parteimitglieder von Janata Dal, die damals als Partei der unteren Kaste zum ersten Mal in Indien regierte. Der Führer dieser Partei, Lalu Prasad Jadav, kam aus der Kaste der Gowala (Kuhhalterkaste).
Anschließend gingen wir zum Gurudwara (Sikhtempelbzw. Eingangstor zum Guru), gebaut von Maharaja Ranjit Singh (1780-1839) für den 10. Guru Govinda Singh(1666-1708, geb. in Patna). Er führte bei den Sikhs diefünf Ks ein, nämlich Kesh (lange Haar und Bart), Kangha (Kamm), Chachcha (kurze Hose), Kara (Armreife) und Kirpan (kleines Schwert) ein.Diese gelten in der Tradition der Sikhs alsZeichen der Reinheit (Khalsa).
Die Hohepriester des Tempels empfingen uns sehr herz-lich, boten uns einen Imbiß und Getränke an und sangen heilige Lieder, sie banden sogar zeremoniell den Sikhturban um den Kopfvon Dr. Just. Die ehrenhafte Behandlung bewegte uns sehr. Alle sagten einstimmig, dass sie einen solchen Respekt gegenüber anderen Religionen in Deutschland nie erlebt hatten. Am letzten Tag der Reise besuchten die Frauen der Reisegruppe die Patna Women´s College (Frauenhochschule), die 1940 vom Bishop vom damaligen Patna gegründet wurde.
1997 besuchte mich auch Ina alleine, als ich mich in Patna aufhielt. Sie blieb etwas länger mit mir zusammen als Tara. Von Patna aus fuhren wir mit einem Bus nach Shakra. Ich kaufte drei Plätze auf einer Seite des Busses, um auf den 120 Kilometern in mein Heimatdorf genügend Platz zu haben. Kaum hatten wir im Bus Platz genommen, wurden wir im überfüllten Bus von Mitfahrenden verdrängt. Es saßen mehrere Person auf unseren Plätzen, Ina bekam sogar von einer Frau ihre zwei Säuglinge auf den Schoß gesetzt. Bei dieser Gelegenheit machte Ina eine reale Erfahrung mit dem armen Volk in Indien, wie man hin und her geschoben und zertrampelt wird. Dennoch kamen wir heil in Shakra an. Ina freute sich, meine Verwandten und das Dorf wiederzusehen. Nach ihrer Meinung hatte sich dort kaum etwas verändert. Ich schlief in der Nacht auf der Ve-randa und Ina im Nebenzimmer, dem Zimmer, in dem ich als Schüler geschlafen habe. Meine Schwester Tara, die dort schon war, ging in Inas Zimmer, sie wollte Ina nicht alleine schlafen lassen. Es ist in Indien nicht üblich, dass ein Mädchen im Zimmer alleine schläft, auch dies war eine neue Erkenntnis für Ina.
Als wir dann nach Patna zurückfuhren, nahmen wir den Zug. Die lokalen Züge sind nicht weniger voll als die Busse, Pendler, Studenten, Gemüsehändler, Nutztiere und Menschen ohne Fahrkarten, die auf dem Dach des Zuges sitzen und die Notbremse ziehen, um überall aussteigen zu können, ohne an den Bahnhöfen kontrolliert zu werden. In Patna angekommen, mieteten wir eine Motor-Riksha für uns drei, meine Mutter war dabei. Kaum hatten wir die Brücke nach Patna überquert, wurden wir von einem Polizeibeamten gestoppt. Er beschuldigte den Rikshafahrer, zu schnell gefahren sein und zeitweilig noch einen Kunden mehr als erlaubt mitgenommen zu haben. Diese Behaup-tung stimmte nicht, wir wehrten uns, aber der Polizeibeam-te hörte nicht zu, wir waren für ihn Geschäftsverderber. Der Fahrer bekam Ängste, dass seine Riksha beschlagnahmt und er ins Gefängnis gebracht würde, deshalb gab er dem Beamten alles Geld, das er sich dabei hatte. Ina wurde so eine sprachlose Zeugin einer brutalen Korruption in der Hauptstadt von Bihar. Ich meinerseits konnte auch nichts dagegen mehr tun, dazu hatte ich zu wenig Zeit, jedenfalls gab ich dem Rikshafahrer mehr Geld als wir vereinbart hatten. Wir besuchten Gurya im Kurji Hospital, dort wurde sie wegen eines Gallensteins für viel Geld operiert. Viele Inder glauben oft nicht mehr an die Notwendigkeit solcher Operationen, weil sie vermuten, dass die Ärzte unnötige
Operationen durchführen, um Geld zu machen. Wie auch immer, Ina lernte meine Kusine Tara und Bobby, den Sohn des Arztes Haque vom Kurji Hospital kennen.Tara und Bobby erinnern sich immer noch gerne an ihr Zusammen-sein mit Ina – wie die alte anhängliche taubstumme Bathaia auch besonders, solange sie lebte. Ina hat sie sehr gut behandelt, hat sogar ihre Haare gestreichelt, was bis jetzt niemand für sie getan hatte. Ina flog bald danach von Patna nach Delhi und von dort zurück nach Deutschland.
2002 hatte Jussi sein Medizinstudium beendet und bekam einen Praktikumsplatz in dem weltweit bekannten All India Institute of Medical Sciences (AIIMS) in Delhi. Er reiste zusammen mit einem Kommilitonen,Thorsten, zum glei-chen Praktikum. Als ich Jussi später in Delhi traf, fühlte er sich sehr wohl bei den Ärzten im AIIMS, fand sie sehr engagiert auchin der Weise, dass sie arme Patienten kostenlos behandelten. Er erzählte mir, dass im AIIMS-Krankenhaus auf den Fluren und manchmal auch in den Behandlungszimmern Affen frei herumliefen.Vor dem Abschluss seines Praktikums fuhren wir mit Thorsten zusammen nach Patna, wohin Gurya uns eingeladen hatte. Als wir von unserem Hotel in Delhi Extension (Süd Delhi) mit einem Taxi nach New Delhi Hauptbahnhof fuhren, merkten wir unterwegs, dass der Taxifahr den Weg dorthin nicht richtig kannte. Auf meine Frage, sagte er mir, dass er erst zwei Tage zuvoraus einem Dorf nach Delhi gekommen war und der Taxiboss hat ihn heute für die Fahrt eingesetzt hatte und er nicht wisse, wo der Bahnhof liegt. Damit wir den Zug nach Patna nicht verpassten, bezahlten wir einenRikshafahrer als Wegweiser zum Bahnhof. Wir blieben kurz in Patna und fuhren - wie wir es immer getan hatten über Siliguri nach Darjeeling. Jussi wollte von dort nicht mit dem Toy Train nach Darjeeling fahren. So nahmen wir ein Taxi und waren trotz der vielen Steigungen und Serpentinen in weniger als zwei Stunden an unserem Ziel.Während der Fahrt sahen wir die Teefelder in den Ebenen des Himalaya, den Tarais.In Darjeeling besichtigten wir mit Jussis Freund die Sehenswürdigkeiten, er kaufte sich zu günstigen Preisen warme Kleider und Schuhe, die er im Hochgebirge brauchte, die Sachen kamen aus China.
Er wollte auch gerne einmal den Mount Everest sehen. So fuhren die beiden Studenten mit ein paar europäischen Touristen mit einem Jeep nach Tiger Hill, 32 Kilometer von Darjeeling entfernt. Sie blieben über Nacht, um von dort aus den Mount Everest (8848m hoch) bei gang zu erleben. Nach diesem Ereignis, das für sie einen der Höhepunkte der Reise darstellte, fuhren wir über Siliguri nach Patna zurück und reisten in der dritten Klasse des Zuges, da Jussi sich die Zugfahrt mit dem einfachen Volk Indiens nicht entgehen lassen wollte.
In der Nacht musste Thorsten dringend die Toilette besu-chen, kam aber bald zu mir zurück und sagte, dass in der ToiletteMenschen schliefen. Ich ging mit ihm zusammen hin, weckte die schlafenden Leute und bat sie, die Toilette zur Benutzung frei zu machen, und sie taten es. Spätermeinte Thorsten, er fände es erstaunlich, dass in Deutschland viele Menschen ohne Schlaftabletten nicht mehr schlafen könnten, hier aber die Menschen ohne Tab-letten sogar in einer Toilette sorglos schliefen. Darauf sagte ich: Die Armen in Indien haben zu wenig Platz zu Hause und am Ort ihrer Arbeitsstätten schlafen sie in sogenannten Kholis lediglich schichtweise. Sie sind zum Teil an diese Verhältnisse gewöhnt.
Während seines Praktikums lernte Jussi meine Neffen bzw. die Söhne meiner Schwester in Delhi kennenlernen, dieals Neuankömmlinge aus den Dörfern in der Großstadt Fuß zu fassen versuchten. In Delhi begleitete ich Jussi und Thorsten und zeigte den beiden etwas von der Hauptstadt, z. B. den Turm QutubMinar, 73 Meter Höhe, Baubeginn 1192 durch den Gründer der türkischen Sultanate in Delhi Qutubuddin-Aibak 1192 oder führte sie auch nach Janpath, wo sich die vielen Geschäfte und Souvenirläden befinden. Typische Mitbringsel zu dieser Zeit waren Schachspiele und geschnitzte Holzboxen, Messingwaren und natürlich Tee und Zubehör.
Damit endete der Aufenthalt von Jussi und Thorsten in Delhi, und sie kehrten beeindruckt von dem, was sie in der Klinik und sonstwo gelernt und erlebt hatten, nach Deutschland zurück.
2006 kam Jussi als ein fertiger Arzt nach Kalimpong, als Maria und ich dort einen Urlaub machten. Kalimpong dien-te früher als Eingangstor zu Tibet, liegt nur 51 Kilometer von Darjeeling entfernt. Maria und ich wohnten in einer dortigen Pension namens Dixie, die bei den jungen Touristen aus Europa und Amerika sehr beliebt war. Jussi gefiel diese Pension nicht, da er sich richtig erholen wollte. Wir verbrachten den Rest unseres Urlaubs mit ihm in dem von ihm ausgesuchten Himalayan Hotel, dem besten Hotel am Ort, das früher der Wohnsitz einer reichen englischen Ge-schäftsfamilie war. In diesem Hotel haben einmal Edmund
Hillary (1919-2008) und Sherpa Tenzing, die ersten Be-zwinger des Mount Everest, übernachtet, wie uns erzählt wurde. Auch Tara und Roland waren auf ihrer Reise im Jahre 1997 dort eingekehrt. Für uns hat es sich jedenfalls gelohnt, in diesem ruhigen Hotel mit guten Serviceleistun-gen zu wohnen und von dort die Gebirgslandschaft zu genießen. Maria blieb noch für eine Weile mit Jussi zusam-men dort, bevor sie mit einem Jeep nach Darjeeling fuhren, während ich nach Bihar ging, um meine Verwandten in Shakrazu besuchen. Maria und Jussi erinnern sich noch gerne an die Tage in Darjeeling im Hotel Windamere, wo Jussi sich überwiegend seinen Prüfungsvorbereitungen widmete und abends in beiden Zimmern von einem Diener der Kamin angezündet wurde.
Wir trafen uns wie vereinbart in Delhi wieder, wo ich schon Zimmer im Hotel Broadway in der Asif Ali Road (Old Delhi) gebucht hatte. Jussi erholte sich dort noch.Maria und ich besuchten die nahegelegenen alten englischen Kirchen wie Holy Trinity Church, St.James Church, St.Stephen Church, und die Jama Masjid, gebaut 1644-1668, die größte Moschee Indiens mit 25.000 Ge-betsplätzen. Wir besuchten mit Jussi zusammen nicht nur die Familie meiner Schwester Tara, deren Söhne jetzt dort
arbeiteten und wohnten, sondern auch einige Freunde von früher, die wir seit langem kannten und zu denen wir im-mer den Kontakt gepflegt hatten.
Zu ihnen zählte auch eine sehr wohlhabende Familie, de-ren Mitglieder über Generationen hinweg sich abwech-selnd häufig in Deutschland aufgehalten hatten. Es sind Geschäftsleute, die zur Kaste der Banias gehören. Zu der Zeit hatte diese Familie ein großes Problem, das sie im Hotel Broadway an uns herantrugen.
Die Tochter dieser Familie hatte per Internet einen Mann kennengelernt, dernicht zur Kaste der Banias gehörte, und war mit ihm verschwunden. Ihr Auto hatte man an ihrem College gefunden. Die Eltern waren natürlich sehr besorgt, eine unbeschreibliche Schande war über die Familie ge-kommen. Das Mädchen musste schnell gefunden werden, damit die Sache nicht überall bekannt wurde. Es ging dabei auch darum, dass die Heiratsaussichten für ein solches Mädchen gleich Null sind. Zufällig kannte ich einen sehr einflussreichen Adligen, der zurzeit auch der erste Privatsekretär des amtierenden indischen Staatspräsidenten war. Das Oberhaupt der Baniafamilie bat mich, den Privatsekretär zu bitten, sich darum zu kümmern, dass mehr Polizistenbei der Suche des Mädchens eingesetzt würden.
Dabei erfuhr ich, dass die Familie bis jetzt eine Unmenge an Bestechungsgeld erfolglos an die Polizei bezahlt hatte. Zum Gespräch besuchten wir, Maria, Jussi und ich mit den Eltern des Mädchens den Privatsekretär in seiner herr-schaftlichen Wohnung. Der Vater des gesuchten Mädchens saß da in einer gebückten Haltung und fing an zu stottern und schaffte es nicht, einen einzigen Satz klar zum Ausdruck zu bringen. Ich musste den ganzen Fall erzählen. Es stellte sich heraus, dass das Mädchen über 18 Jahre alt war und damit nach indischem Gesetz nicht mehr minderjährig war. Also hatte das Mädchen das Recht, über sein Schicksal selbst zu entscheiden. Diese Belehrung befriedigte den Vater des Mädchens natürlich nicht. Als wir das pompöse Haus verließen, begleitete der Hausherr uns bis zur Haus-tür, wo mindestens 15 Menschen als Bittsteller standen, die ihn demütig begrüßten. Jussi war von deren und des Banias unterwürfiger Haltung sehr beeindruckt, dieses Verhalten ist eben typisch für Indien und hat seine Wurzeln in der uralten Geschichte des Landes. Seit der Entstehung des Kastenwesens werden die Banias von den oberen Kasten wie den Brahmanen (Priester) und Rajputs (Krieger) als Beutemasse betrachtet. Auch der Franzose FrancoisBernier, hat schon in seinem Bericht „Travels in
theMoghul Empire (1656-1668)“die Baniasalsarmselig aussehend und voller Angst und Furcht beschrieben, Angst davor, jederzeit von den Adligen (Omrahs) beraubt zu werden. Einen Tag nach dieser Begegnung fuhren wir nach Deutschland zurück. Um die Neugier unserer jungen Familienmitglieder zu besänftigen, möchte ich hier erwähnen, dass das verlorengegangene Mädchen kurz nach unserer Rückkehr nach Deutschland von der Polizei mit Hilfe des Bruders, der wer weiß wie und woher eine Information erhalten hatte, wo sie sich mit ihrem Freund befand, aufgespürt und unter Zwang nach Hause gebracht wurde. Nun war es an der Zeit, gegen Mitgift einen kastenmäßig pas-senden Ehemann für sie zu finden. Das klappte (wie so oft übrigens per Zeitungsannonce) und Maria und ich wurden alslangjährige Freunde der Familie zum Hochzeitsfest nach Delhi eingeladen, einer Einladung, der wir in diesem Fall besonders gerne folgten. Wir wohnten bei dieser Familie. Maria bekam die Ehre, am Tag vor der Vermählung im inneren Kreis der Familie den alten rituellen Zeremonien, an denen nur Frauen teilnehmen dürfen, beizuwohnen. Sie fanden unter der Eingangskuppel des luxuriösen Wohnhau-ses der Familie statt.Ich weiß nicht, wie viel Geld als Mit-gift (Dowry) der Vater des Bräutigams ausgehandelt hat, dazu kamen aber zwei Autos, ein weißer Mercedes und Mitsubishi. Mit dem Mercedes wurden wir als Hauptgäste zur familieneigenen Farm in die Peripherie von Delhi ge-bracht, wo die Hochzeit grandios mit hunderten von Gästen gefeiert wurde. Jedoch hat, wie wir wissen, jede Medaille zwei Seiten. Dem von einem Pandit sorgfältig ausgearbeiteten Horoskop (Patra) entsprechend wurde die Hochzeit im Dezember zelebriert, dem kältesten Monat in Delhi. Aufgrund fehlender Heizanlagen hat Maria sich unter der Kuppel stark erkältet und kehrte zum ersten Mal krank von Indien nach Deutschland zurück.
2007 kam Ina als Reisejournalistin nach Indien und be-suchte mich für einen Tag in Delhi. Ich wohnte wieder bei einer bekannten Familie und traf sie dort. Da sie am glei-chen Tag nach Mumbai zurückfliegen musste, beschränkten wir uns auf die Besichtigung des Denkmals (Samadhi) von Mahatma Gandhi (1869-1948) am Rajghat am Fluss Jamuna. Dort war Ina bis jetzt noch nicht gewesen. Danach fuhren wir zum Lodi Garden zu den Grabmonumenten von der Lodhiherrscher (1451-1526) und zum nahgelegenen Khan Market, wo sie für ihre Kinder etwas kaufen konnte. Anschließend aßen wir dort in einem schönen und vielbe-
suchten Restaurant. Die Zeit verging schnell. Der alte Chauffeur der Familie Gupta, Gopal, brachte sie zum Domestic Airport.
Zu dieser Zeit beobachtete ich in Indien verstärktHijras (arabisch: Geflüchtete, Verfolgte) in Frauenkleidern. Man-che behaupten, dass die Hijras im 8. Jahrhundert nachdem Untergang des byzantischen Reiches zum blühenden Impe-rium der Abbasiden nach Baghdad und von dort aus weiter mit den arabischen Eroberern nach Indien kamen. Sie arbeiteten in den Palästen, Mahals und Havelis als Aufpasser von Frauen in den Harems und als Beschützer der Thronfolger sowie als Spiel- und Sexgefährten, Spione, Haushaltsbedienstete. Sie stiegen auf bis hin zum König, zuWezirenund Generälen. Nach dem Zerfall des Mogulnreiches 1857 und dem Ende der britischen Herrschaft 1947 in Indien, kam es auch zum Ende der Herrschaft von über 550 indischen Fürsten,Maharajas, Rajas, Nawabs, die bis dahin über 40 % des indischen Subkontinentes kontrollierten.
Der damalige Innenminister SardarVallavbhai Patel ver-leibte 1950 fast alle diese Fürstenstaaten in die Indische Republik ein. Dadurch verloren die Hijrasihre bisherige Beschäftigung und ihren Halt und strömten zu Hunderttausenden aus Lucknow, Rajasthan, Punjab und Hyderabad in die Hauptstadt Delhi, hauptsächlich wegen ihrer sprachlichkulturellen Verwandtschaft mit Hindi und Urdu.Man sah sie in Delhi und in anderen Großstädten als Prostituierte, Musiker, bezahlte Schreier auf den Versammlungsorten, Wehkläger auf den Friedhöfen, Segner der Geburt eines Sohnes und als Erpresser. Auf den Bahnhöfen und in den Zügen erpressten sie die Insassen mit den Worten „schnell Geld, aber als Scheine, sonst wird dein nächster Sohn als Hijra geboren“. In den Dörfern wurden sie von den oberen Kasten und Klassen auf der Suche nach einer gleichwerti-gen Braut (Jati, Nasal), „Nichtschwarz(gori, ujli,safeed), Nichtbehindert und frei vonHautkrankeiten“ losgeschickt, da die Brautschau vor der Vermählung durchFamilienmitglieder nicht erlaubt war.
2008 kam auch Tara alleine nach Delhi. Maria und ich waren schon da, holten sie vom Flughafen ab und wohnten zusammen im India International Centre (IIC), vom indischen Staat für die Unterbringung internationaler Schrift-steller und Journalisten in einer schönen Umgebung gebaut. Das IIC liegt in der Nähe des Lodi Garden, des Khan Markets und des Goethe Instituts, das früher nach einem deutschen Indologen und Orientalisten „Max Müller Bhavan“ benannt war, der von 1823-1900 gelebt hat.Um im International Center wohnen zu können, muss man Mitglied oder Gast eines Mitglieds des Hauses sein. Unser alter Freund Sharma war eins der Mitglieder. Tara besuchte mit Maria zusammen den Lodi Garten und Khan Market, und ich ging auch mit ihnen zusammen ins Goethe Institut und wir schauten uns den dortigen Lesesaal an und nahmen eine indische Mahlzeit. Als Mitglied des IIC begleitete Sharma uns ständig und lud uns ins Café und zum Essen ein. Wir sehnten uns bald nach Chandigarh, wo Maria und ich früher schon einmal gewesen waren und buchten den Shatabdi Express mit Frühstück am Sitzplatz, Wasser, Refreshments und Zeitung im Preis inbegriffen nach Chan-digarh (Hauptstadt von Haryana und Punjab). Von Delhi liegt die Stadt 260 Kilometer entfernt, die Fahrt mit dem komfortablen Shatabdi Express dauert weniger als fünf Stunden und ist ein Genuss.Die Stadt wurde in den fünfziger Jahren von dem Franzosen Le Corbusier (1887-1965), einem Freund von Jawaharlal Nehru, in der unbewohnten Bergregion Shivalik geplant und gebaut. Er teilte sie in Sektoren ein und hat Verwaltungsgebäude wie das Assembly House, High Court und Secretariat. Wir wohnten dort zentral im Hotel Shivalik mit Halbpension, besuchten die Bauten von Le Corbusier sowie das ihm gewidmete Museum. Wir machten Spaziergänge in den Bougainville- und Rosengärten, wie es sie in einer solchen Größe nirgendwo in Indien gibt. Dann bewunderten wir den Rock Garden mit tausenden an Tonskulpturen, erschaffen von Neck Chand. Wirspazierten an dem Sukhna Lake am Fuß der Shivalik Berge, die sich im Hintergrund abzeichnen, wo sich eine Bootsfahrt anbietet. Ein alter Freund aus mei-ner Studienzeit in Köln, Puri, der ehemalige Chancellor der Universität Chandigarh lud uns in seinen Golf Club und am nächsten Tag zum Essen zu sich nach Hause ein, wo seine Frau auch einige Familienmitglieder aus der Stadt zusam-mengebracht hatte, mit denen Maria und Tara sich gut unterhalten konnten. Bei einem Spaziergang im Sector 17 A, der bekannteste Einkaufszentrum ließ Maria sich von einem Schuhputzer im Kindesalter aus Mitleid ihre Schuhe zu einem vereinbarten Preis putzen. Nach der Arbeit verlangte der das Doppelte und behauptete, dass der vereinbarte Preis nur für einen Schuh galt und es begann ein Streit zwischen ihm und uns. Schnell eilten noch ein paar junge Schuhputzer zu seiner Unterstützung herbei. Wir zahlten ihm,was er verlangte, und befreiten uns so von ihm. Passanten, die das sahen, sagten uns, dass viele Gangs dieser Art die hiesigen Menschen und insbesondere die Touristen auf diese Art und Weise belästigten und erpress-ten. Wir dachten über die Entwicklung dieser Stadt nach, wo arme Kinder von Bandenführern, den eigentlichen Verbrechern, eingesetzt werden, manchmal unter der Obhut von Polizisten. Um keine Zeit zu verlieren, flogen wir nach Delhi zurück, das dauerte weniger als eine halbe Stunde. Tara flog alleine von Delhi nach Deutschland zurück.
Maria und ich fuhren nach Amritsar(Nektarsee), eine Mil-lionenstadt im Bundesstaat Punjab, die direkt an Lahore in Pakistan angrenzt. Amritsar ist ein heiliger Ort der Religi-onsgemeinschaft der Sikhs mit einem großen goldenen Tempel, der in indoislamischem Stil erbaut ist.Außer dem Tempel besuchten wir noch die dortige Bibliothek, Lehran-stalten und den Ort der traditionellen freien Essensverteilung., wo wir uns ein Essen mit Chapati, Gemüse, Geträn-ken (Sherbat) abholten. Wir besuchten in Amritsar den historischen Platz von JalianawalaBagh. Hier wurdenam 13. April1919 von britischen Soldaten 379 Demonstranten getötet, die gegen die Verhaftung von zwei Freiheitskämpfernprotestierten.
2011 begleiteten Maria und ich unsere Tochter Ina mit ih-ren Kindern (bzw. unseren Enkelkindern) Lilia (damals neun) und Matilda (damals sieben) auf ihrer Reise nach Indien. Ina wollte ihren Kindern das Heimatland ihres Großvaters zeigen. Sie hatte ihren Kindern soviel vom Dorf ihres Vaters und von ihren eigenen Erlebnissen in Indien erzählt, dass sie großes Interesse daran hatten und auch gerne mit uns zusammen reisen wollten. Ina flog von Hamburg und Maria und ich von Bremen nach Amsterdam. Eine Flugreise war für die Kinder nichts Neues und der Flug von Amsterdam nach Delhi war angenehm. Es war 1.00 Uhr nachts, als wir in Delhi ankamen, die Flüge von Europa landen meistens zu später Stunde in Delhi. Wir wollten keine Zeit verlieren und am selben Tag über Dehradun nach Mussoorie im Himalaya fahren. Wir verbrachten noch ein paar Stunden am Flughafen und nahmen ein Taxi zum Bahnhof New Delhi, von wo um 7.00 Uhr unser Zug Richtung Dehradun abfuhr.
Die Strecke von Delhi bis Dehradun (283 Kilometer) legt der Shatabdi Express in sechs Stunden zurück. Ina und die Kinder waren derart müde, dass sie die meiste Zeit im Zug schliefen und sogar das gute Frühstück verpassten. In Dehradun, das noch in der Ebene liegt, nahmen wir ein Taxi und fuhren hoch nach Mussoorie. Für 38 Kilometer brauchten wir eine Stunde. Die Fahrt durch den Himalaya mit seinen kurvenreichen Wegen und der Gebirgslandschaft begeisterte die Kinder sehr. Wir hatten das Hotel Kasamanda Palace, 2.200 m hoch gelegen, reserviert, es gehörte einem ehemaligen Maharaja. Für unsere Fahrten zum hochgelegenen Hotel hin und zurück wurde vom Ho-tel ein Auto mit Chauffeur zur Verfügung gestellt. Maria und ich waren schon mehrmals in Mussoorie gewesen, das ursprünglich wegen des kühleren Klimas ein Erholungsort für die Engländer war. Ina zeigte den Kindern die Gassen der Stadt, die alten Kirchen, Internatsschulen und Verwaltungsgebäude, und am Abend genossen wir von der Mall aus den Blick hinunter auf Dehradun. Ich kann mich nicht mehr daran erinnern, aber ich vermute, Maria hat darauf bestanden, Ina und ihre Kinder zur „Camel Back Road“ (Kamelrücken Straße) mitzunehmen, auf diesem Zick-zackweg um den Berg herum machte Maria so gerne ihre Spaziergänge, wenn sie sich inMussoorie aufhielt. Wir gingen fast immer zusammen zum indischen Essen (Pakora, Samosa und Vegetarisches) an der Mall oder der Gandhi Road. In den meisten Straßen dieses Ortes ist Autofahren nicht erlaubt. Von Mussoorie fuhren wir mit einem Auto nach Rishikesh. lediglich 80 Kilometer entfernt, und wohnten dort in einem Hotel mit dem schönen Namen ,,GangakeKinare“ (An der Seite des Ganges). Die Stadt Rishikesh (Ort von Heiligen) ist eine der heiligsten Stätten des Hinduismus. Hier wird der vom Himalaya kommende Ganges breit und sichtbar. Sie ist bekannt für ihre Ashrams, Yogis und Yogazentren. Man sieht hier zahlreiche Europäer, die sich zum Meditieren in den Yogazentren aufhalten, und manchen heruntergekommenen Europäer, die sich dort als Bettelmönche verdingen, auch Deutsche. In der Nähe des heiligen Flusses werden seit undenklicher Zeit Feste gefeiert und die Toten verbrannt, deren Asche in den Fluss gestreut wird. Damit ehren die Inder unbewusst ihre Vorfahren, die aus den Steppen Zentralasiens kamen und sich am Ganges ansiedelten, wie der Dichter Mohammad Iqbal (1877-1938) es ausdrückt: „Oh Ganga, erinnerst du dich, dass wir alle einmal in deinen Zweigen unsere Nester ge-baut haben?“
Die Kinder amüsierten sich sehr zu sehen, wie Yogis, Sadhus, Kühe und Affen ungestört herumliefen, alle gelten als heilig. Auf der Ram Jhula Brücke, einer schwankenden Hängebrücke beobachteten wir, wie geschickt die allgegenwärtigen Affen den Pilgerreisenden Proviant aus der Tasche stahlen. Ich erinnere mich daran, dass an einem Abend eine bunte Hochzeitsgruppe neben unserem Hotel mit Horn-, Trommel- und Trompetenmusik am Ganges entlang zog, der Ina und die Kinder begeistert eine Weile folgten. Abends gingen wir zum Essen in ein Minirestau-rant, deren Besitzerin in einer offenen Küche vegetarisch kochte, das fast nur von Europäern besucht wurde. Da das Essen wunschgemäß zubereitet sehr gut war, begnügten wir uns mit den sehr beengten Sitzmöglichkeiten. Wir fuhren von Rishikesh mit einem Taxi die 80 Kilometer bis nach Haridwar, das ebenfalls ein Pilgerort ist, der vor allem zu einem Fest (Khumb Mela) alle zwölf Jahre sehr viele Menschen anzieht.
Da wir nun nach Shakra wollten, nahmen wir von dort einen Zug nach Delhi, trotz des Umweges, da es keine ande-re Möglichkeit gab. Da uns die chronische Überfüllung des Bahnhofes Delhi bekannt war, hatten wir vorsorglich Freunde dorthin bestellt, die uns beim Umsteigen mit nicht gerade wenigem Gepäck halfen.VonHaridwar liegt Delhi 235 Kilometer entfernt und von Delhi bis Shakra dann noch etwa 870 Kilometer. Als wir um 13 Uhr in Delhi ankamen, erwarteten uns unsere Freunde bereits. Ein Zugabteil hatten wir bereits in Deutschland im Voraus gebucht, was in den Jahren zuvor noch nicht möglich gewesen wäre. Wir fuhren um 16.00 Uhr von Delhi ab, die Fahrt dauerte über 18 Stunden, gut, dass wir für uns Schlafbetten besorgt hatten. Zur Abendstunde in Shakra angekommen, sahen sich Lilia und Matilda von den Kindern aus dem Dorf umringt. Sie hatten ja noch nie weißhäutige Kinder so hautnah gesehen. Inzwischen waren fast alle meine engsten Verwandten dort tot. Wir verließen Shakra am nächsten Tag, Lilia und Matilda hatten wenigstens dasDorf ihres Großvaters gesehen, im Geburtshaus des Großvaters übernachtet und die Gastfreundlichkeit der dort noch Lebenden erfahren. Danach reisten wir nach Patna zu meiner Schwester Gurya. In Patna lebten wir im Hotel Windsor. Ina kannte die Stadt von früheren Aufenthalten sehr gut, sie zeigte den Kindern die dortigen Märkte und ich glaube, auch das Planetarium (Tara Mandal), das ein interessantes einstündiges Programm für Kinder anbietet. Auch gingen wir zusammen zum bekannten Patna Zoo und fuhren mit der Zirkusbahn zu den Tiergehegen mit einigen seltenen Tieren aus dem Himalaya. Wir besuchten Gurya oft, sie war einsam geworden, ihr Mann war krank, ihre Kinder Dauly und Sunny lebten nicht mehr in Patna und die Bathaia, die Ina so ger-ne hatte, war schon gestorben, nur die alte robuste Dienerin Juhia lebte noch. Gurya gab Lilia und Matilda etwas Geld, wovon sie in Delhi Kleider kaufen oder dort nähen lassen sollten. Ich hatte bereits die Fahrkarten von Patna nach Agra in der Tasche. Ina hatte aber keine Lust mehr mit ih-ren Kindern, die Zugfahrt von 18 Stunden, 800 Kilometer bis Agra mitzumachen. Sie wollte von Patna nach Agra fliegen. Sie stellte aber fest, dass ein Flugzeug von Patna lediglich bis nach Delhi fliegt, in Delhi hätte man über-nachten und dann von Delhi eine Maschine nach Agra nehmen müssen, das wäre eine Fahrtdauer von 25 Stunden insgesamt gewesen. So fuhren wir doch mit dem Zug bequem, billig und schnell nach Agra. Es muss hier gesagt werden, das Indien keinen Tourismus in unserem Sinne kennt, nur Pilgerreisen, wenn der Ort nicht sehr weit liegt. Die wenigsten Menschen aus Bihar können es sich leisten, mit dem Flugzeug nach Agra zu fliegen, um das Taj Mahal zu sehen. Die Hauptverkehrsmittel Indiens sind die Züge und die Busse. Die Zugfahrt von Delhi bis Shakra in der dritten Klasse mit einem Etagenbett kostet ca. vier Euro, dagegen der Flug mindestens 100 Euro, was das monatli-che Einkommen eines Bürgers im Durchschnitt ist. Als Lilia zur Morgenstunde kurz vor Agra wach wurde, kam sie runter von ihrem Schlafbett und murmelte etwas. Ich fragte sie, was los sei. Sie sagte, ich zähle Menschen an den Bahngleisen, die sich neben dem fahrenden Zug er-leichtern. In der Tat sind die Bahngleise die bevorzugten Orte zu diesem Zweck, natürlich aufgrund der fehlenden Toiletten. In Agra wohnten wir im Hotel Amar mit einem Swimmingpool, die Kinder hielten sich sehr gerne dort auf, um sich zu erfrischen und von der Wärme in Agra zu be-freien. Ina ging mit den Kindern zum Taj Mahal und Red Fort, Maria und ich sahen uns die alten Häuser und Ge-schäfte, die neben dem Hotel waren, an. Abends lud uns Ina in ein Restaurant namens Shanti in Alt Agra ein, von wo aus man am Abend die Rückseite des Taj Mahal sehen konnte, wie sie es in dem Reiseführer Lonely Planet gelesen hatte. Kurz vor dem Betreten dieses Restaurants rutschte Matilda in eine Pfütze. In Indien kann das leicht passieren, da die Kanalisation vielfach nach oben offen ist. Da gab es was zu säubern. Als wir später das Restaurant betraten, war es voll besetzt, und zwar von europäischen Touristen. Das Essen, das wir für die Kinder bestellt hatten, war der wohlgemeinte, aber total misslungene Versuch eines Inders, europäisch zu kochen. Maria hatte die Idee, ihm doch mal ein paar Rezepte zu schicken. Er wollte absolut kein Geld für das Essen annehmen. Bevor wir von Agra abfuhren, schenkten mir die Kinder ein kleines Taj Mahal zum Aufstellen, das sie irgendwo von einem Strassenhändler in Agra gekauft hatten, an die ich mich gerne erinnere. Von Agra nahmen wir am Tag darauf Abschied und stiegen in den Zug, der in drei Stunden über Mathura nach Delhi fuhr. Wegen der Kinder hatten wir das Hotel Parkland in der Defence Colony, einem sehr ruhigen Stadtteil von Delhi gebucht. Unser alter Freund Sharma und auch Pranav, der Enkel des alten Gupta, stellten uns ihre Autos (mit Chauffeur !) zur Verfügung. Sharma nahm uns mit nach Noida, wo er in traumhaft schöner Gegend in einem sehr großen Haus allein mit seinem Diener wohnte. Er nahm uns mit in ein Restaurant seines Golfplatzes und wir genossen das indische Essen an einem drehbaren Esstisch, eine Mahlzeit, von der die Kinder heute noch schwärmen. Pranav brachte uns in ein besonderes, damals neu eröffnetes Restaurant am Connaugt Place, das eine drehbare Platform hatte. So lernten die Kinder ganz Delhi aus luftiger Höhe kennen. Auch dieser Abend ist für die Kinder unver-gesslich. Wer in Delhi einmal am ChandniChowk (Zentrum des Mondlichts), dem meistbesuchten Einkaufszentrum Asiens, gewesen ist, der wird den Rummel nicht vergessen. Und wir und die Kinder vergessen den Hund nicht, der ausgerechnet uns die ganze Zeit verfolgte. Ob wir gingen oder stehenblieben oder in einem Laden etwas kauften, wir wurden den Hund nicht los. Hin und wieder tauchte er in der Menschenmenge unter, fand aber immer wieder zu uns zurück. Lilia und Matilda rätselten über diese liebevolle Verfolgung des Hundes. Eine ganze Weile waren wir beun-ruhigt, dann aber verschwand er zum Glück von selbst. Ich vermutete, er lebte in ChandniChowk zeitweilig mit einer europäischen Familie mit Kindern zusammen. Als er eine hellhäutige Familie sah, ging er diesr nach und dachte, seinen ehemaligen Versorger wiedergefunden zu haben.
Für die Nacht unserer Abreise - der Flug ging um 3 Uhr – hatte die Familie Gupta uns zu sich in ihr Haus eingeladen. Wir verbrachten zusammen mit der ganzen Familie dort schöne Stunden.Pranavs Vater, den Sohn des alten Gupta, sahen wir da zum letzten Mal. Ein Jahr darauf starb er. Maria, Ina und die Kinder flogen zurück nach Deutschland, ich blieb aber in Delhi bei meinem Freund Sharma, wohnte bis zu meiner Abreise bei ihm in Noida, er hatte sich das seit Jahren gewünscht.
2013 wollte auch Tara ihrer Tochter Dina, die damals 15 Jahre alt war, Indien zeigen und wünschte sich unsere Begleitung. Eine weitere Reise mit ihren beiden Söhnen war für später vorgesehen. Tara, Dina, Maria und ich flogen zusammen nach Delhi, kamen dort um 3 Uhr an, und wurden nach ein paar Stunden Aufenthalt bei der Familie Gup-ta von dem Fahrer Gopal der Familie Gupta zum Bahnhof Anand Vihar gebracht, von wo um 6 Uhr der Zug nach Nainital abfuhr. Nainital (Provinz Uttaranchal) ist wie Darjeeling eine Hill Station im Himalaya, der Ort liegt auch auf einer Höhe von 2.000 Metern und ist 330 Kilometer von Delhi entfernt. Auch Maria war dort noch nie gewesen. Um nach Nainital zu kommen, muss man erst mit dem Zug bis Kathgodam fahren, von dort geht es nur mit dem Auto bzw. Taxi nach Nainital (34 Kilometer). Bis zum frühen Morgen hielten wir uns im Wartesaal des Bahnhofs Anand Vihar auf. Es war noch dunkel, viele Reisende schliefen auf den Sitzplätzen und auf dem Boden und schnarchten, und wir ärgerten uns über die Unruhe, man hörte auch, dass irgendwo im Raum Wasser tropfte. Dina machte das nichts aus, sie blieb unbeirrt die ganze Zeit über mit ihrem Handy beschäftigt, bis der Zug eintraf, der uns in fünf Stunden pünktlich nach Kathgodam brachte. Von dort waren wir mit einem Taxi in einer halben Stunde ziemlich erschöpft an unserem Ziel. Wir hatten auf unserer Reise von Deutschland über Delhi wenig richtigen Schlaf bekommen, erholten uns aber in der frischen Gebirgsluft schnell in unserem Hotel Naini Retreat mit Halbpension, das direkt über dem Naini Lake mit einem herrlichen Blick auf ihn und die Landschaft lag.Wie an den Hill Stations üblich, stellte uns das Hotel zu bestimmten Zeiten ein Auto für Fahrten in die Stadt und zurück zur Verfügung. Wir besuchten die dortigen Sehenswürdigkeiten und fuhren mit dem Ropeway (Seilbahn) zum Snow View Point, um von hoch oben einen Blick auf die Stadt zu werfen. Wir fuhren alle mit der Seilbahn hoch, aber ich kehrte mit dieser zurück, was fünf Minuten dauerte. Mariaund Tara wollten lieber zu Fuß zu rückgehen. Dina und ich warteten un-ten am Berg fast eine Stunde auf die beiden. Sie kamen endlich abgehetzt und aufgeheizt unten an, da auf dem Weg an dem Berghang Menschen und Nutztiere hausten, und es sich für sie als schwierig erwiesen hatte, den richtigen Weg nach unten zu finden. Ich selbst hatte bei einer früheren Reise in Indien eine ähnliche Erfahrung gemacht, und zwar in dem dicht besiedelten Alt Agra, wo ich hinter dem Red Fort wohnte. Ich hatte dort von einem Straßenhändler ein paar Bananen gekauft und ihn nach dem Weg zum Taj Mahal gefragt. Dieser alte Verkäufer sagte mir, er wisse nicht genau, wie man schnell dorthinkommen könne, da von dort aus Strassenverkäufer längst vertrieben worden seien. „Saheb“ („Herr“), sagte er, „es gibt zwei Agra, eins für die Touristen, das andere für Leute wie wir.“ So entpuppte sich die teure schnelle Seilbahn als Verkehrsmittel für die Touristen und der Fußweg für die dortigen armen Bewohner. Wie auch immer, wir mieteten ein Taxi und besuchten ein paar Kilometer von Nainitalentfernt eine hohe Statue von Hanuman, dem Gott mit dem Elefantenkopf, imGarhi Tempel. Wir umrundeten auch den See von Nainital, eine Reihe kleiner mehr oder weniger gepflegte Tempel waren am Weg. Am Abend gingen Maria und Tara in den Hotelgarten am steilen Hang und empfanden es als Gymnastik, die Stufen auf und ab zu laufen. Als unsere dortigen eigentlich ruhigen Tage zu Ende gingen, mieteten wir ein Auto, um nach Lucknow zu fahren, eine bedeutende Stadt, in der Tara noch nicht gewesen war. Von Nainital nach Lucknow muss man erst über Moradabad fahren, 108 Kilometer von Nainital entfernt. Ich wollte gerne die Stadt Rampur gesehen haben, die auf dem Weg nach Moradabad liegt. Rampur ist ein bekannter ehemaliger moslemischer Fürstenstaat und verfügt über eine einmalige Sammlung von mittelalterlichen islamischen Handschriften in der Reza Bibliothek. Wir suchten eine Führung, aber zunächst war niemand in Sicht, bis die Leiterin der Bibliothek, eine Verwandte eines dortigen Nawabs erschien. Wir bedauerten sehr, dass sie uns nicht viel von der Bibliothek und den zahlreichen Manuskripten zeigen konnte, da das Bibliotheksgebäude um diese Zeit renoviert wurde. Rampur ist etwas abgelegen, sodass man als Tourist nicht so leicht wieder dorthin kommt. Dina wurde in ihrer europäischen Kleidung und wegen ihres Make-ups vor allem von den dortigen Schulmädchen mit Kopftüchern und Halbburqa (Nijab), die vor der Bibliothek standen, sehr beachtet - oder beneidet? Von Rampur aus erreichten wir in Moradabad zeitig den Zug nach Lucknow, die Entfernung war 346 Kilometer. Wir kamen am Abend in Lucknow an und gin-gen direkt ins Clark Awadh Hotel. Lucknow wurde im 17. und 18. Jahrhundert von Nawabs (moslemische Fürsten) beherrscht, die Schiiten waren, und ihreImambaras, das sind Gebetshäuser nach persischem Muster, bauten. Die Nawabs wurden 1857 von den Engländern besiegt. So be-suchten wir nicht nur einige Imambaras, sondern mit gro-ßem Interesse die sogenannte „Residency“, das Wohnviertel der Engländer und ihrer Soldaten. Während der als Mutiny bekannten Meuterei der indischen Soldaten 1857 starben dort ca. 2.000 Engländer. Während unseres Be-suchs der Residency liefen einige Jungen aufdringlich hinter Dina her, was wir Erwachsene ärgerlich fanden, aber Dina nichts ausmachte, nach dem Motto: Sehen und Gesehen werden. Wir hatten auch die Gelegenheit, einen Ort am Fluss Gomti, der 15 Kilometer vom Zentrum entfernt ist und deswegen kaum von Touristen wahrgenommen wird, zu besuchen, nämlich eine Internatsschule, die 1845 von Franzosen gegründet wurde, und deren letzter Principal 1910 La Martinière war. Das Gebäude ist ein Meisterwerk indo-europäischer Architektur. Die Schule existiert noch für Kinder sehr wohlhabender Familien aus Lucknow und Umgebung. Wir hätten gerne noch mehr besondere Erlebnisse in dieser schönen Stadt gehabt, aber wie es mit den Indienreisen für uns so war, wir hatten immer noch andere Ziele, und nun wollten wir zum 240 Kilometer entfernten Agra wegen des Taj Mahals, wo wir schon öfters gewesen waren, um Dina das meistbesuchte Denkmal zu zeigen. Über Tundra fuhren wir mit dem Zug dorthin. Die Zugreise war, wie in Indien fast immer, abenteuerlich. Aber wir hat-ten in Agra Glück mit dem vorgebuchten Hotel, das wir mit Rücksicht auf Dina sorgfältig ausgewählt und gebucht hatten. Es war das Hotel Wyndham mit Swimmingpool und Frühstück, das uns etwas Erholung vor unserer Reise zurück nach Deutschland brachte. In Agra beschäftigte sich Tara mit Dina, sie kannte die Stadt gut. Sie besuchten das Taj Mahal und das von Akbar dem Großen (1565-1575) als Residenz gebaute Red Fort. Ich zeigte Tara den Garten von Babur, dem Begründer des indischen Mogulreiches (1526-1530). Von Agra nach Delhi benutzten wir zum ersten Mal den 2012 gebauten JamunaExpressway (Autobahn), was etwa drei Stunden dauerte, die Strecke ist jetzt verkürzt von 218 auf 165 Kilometer. In Delhi wohnten wir wieder in unserem bekannten Hotel Royal Plaza in der Ashoka Road. Zusammen machten wir einige Besichtigungen z. B. QutubMinar und Khan Market. Ich kann mir hier nicht verkneifen, eine kurze Episode zu erzählen. In unserem Hotel Royal Plaza fand ein Hochzeitsfest mit Pomp und Grandeur statt. Dina wollte natürlich schon immer mal eine indische Hochzeit gesehen haben. Ich sagte zu ihr, komm, wir gehen rein (in den Festsaal), sie wollte aber nicht, da sie keine Einladung dazu hatte. Ich sagte, in Indien kann man diese Situation umgehen, wenn man gut gekleidet ist. Ich nahm Dina mit in den Festsaal und sah eine Person, die der Vater oder Onkel des Bräutigams zu sein schien. Ich fragte den Kellner nach dem Namen des Mannes und begrüßte ihn mit folgenden Worten: Herr Chopra, ich habe Sie lange nicht mehr gesehen, ich komme direkt aus dem Ausland, vielen Dank für ihre Einladung. Dieser alte Herr begrüßte mich herzlich und dankte mir, dass ich gekommen war, ohne zu fragen, wer ich war.Schnell trank ich etwas Whisky und aß die auf Hochzeiten so reichlich vorhandenen indischen Süßigkeiten, Dina blieb bei Saft und Cashewnüssen, und schließlich verschwanden wir beide, ohne mit jemandem gesprochen zu haben. Dann sagte ich zu Dina, hast du das gesehen, wie es in Indien funktioniert. Das war das letzte Erlebnis, bevor wir unsere Reise beendeten.
Dabei erinnerte ich mich an meinen Freund Chandu Lal Gupta. Bei einem Hochzeitsfest in Delhi sagte er zu mir, dass zu diesen Anlässen ausschließlich die Verwndten und Nachbarn zusammentreffen. Für ein paar Tage unterhielten sie sich über Glück und Unglück ihrer Angehörigen. Nun hatte sich die alte Dorfstruktur fast aufgelöst. In den neuen Städten kenne man sich kaum, meinte Gupta. Man trifft sich unter dem Motto: „Aye, Khaye und Jaye“ (Komm, iss und Geh).
2014, ein Jahr später, flogen wir wieder mit Tara nach Indien, dieses Mal mit ihren beidenSöhnen Luis und Adrian, damals 12 und 9 Jahre alt, die noch nicht in Indien gewe-sen waren. Wirselbst begleiteten auch diese Kinder, wie wir es bei den anderen getanhatten. Dieses Mal wurden wirin Delhi am Flughafensowohl von Sharma als auch von Pranav,dem Enkelkind von Gupta empfangen, der uns, was vor allem für die beiden Jungen faszinierend war, mit einem neuen Jaguar abholte.
Aufgrund meines hohen Alters und meiner Gehschwierigkeiten schonten Maria und ich uns u vielfach bei den Ortbesichtigungen und zeigten den Kindern das Sehenswerte. Ich hingegen verbrachte meine Zeit häufiger mit den Verwandten und Freunden in unserem Hotel. Die Einladungenen von Freunden in Delhi sind mir in guter Erinnerung. Auch der Abend, an dem wir Sharma mit sei-ner Tochter Mona und deren Sohn Shantanu, die in Deutschland leben, und ihren Vater, ist mir präsent. Sharma führte uns am nächsten Tag zum Mittagessen in das Restaurant Taj Mahal in Delhi. Neben bekannten Sehenswürdigkeiten zeigten wir den Kindern das neue National Science Centre, das „ A dreamcastleforone and all“ genannt wird. Es ist eins der größten Wissenschaftszentren fürKinder in Asien. Wir hielten uns stundenlang dort auf, ohne dass ihnen die Lust verging.
Wie geplant, fuhren wirschon am drittenTag mit einem angemieteten Auto von Delhi direkt nach Mussoorie im Himalaya, eine Strecke von 300 Kilometern. Tara war dort noch nicht gewesen. Es ging mit der Fahrt zügig voran, nur der Fahrer ärgerte uns mit seinem Kauen von Paan (Betel) und Ausspucken der Reste aus dem Autofenster. Unterwegs wurde es Adrian im Auto übel, eine solche Fahrt auf holprigen Straßen war er nicht gewöhnt. Als wir in Mussoorie im hoch- und etwas abseits gelegenen Claridge Hotel ankamen, genossen wir die Aussicht auf die Berge und die in der Ebene gelegene Stadt Dehradun. Wie im Himalaya bei den abgelegenen Hotels üblich, wurde uns auch hier ein Auto für die Fahrten ins Ortszentrum zur Verfügung ge-stellt und zum gewünschten Zeitpunkt konnten wir uns je nach Vereinbarung wieder abholen lassen. Als Urlaubsort hat Mussourie eine Seilbahn, mit der wir zum sogenannten Gun Hill hochfuhren.
Tara und die Jungs machten mit Maria eine Wanderung die ganze Camel Back Road entlang, man umrundet da den ganzen Camel Back. Durch die gute erholsame Gebirgsluft des Ortes und das gute Essen des Hotels gestärkt, machten wir uns nach einigen Tagen mit einem Taxi auf den Weg nach Chandigarh (206 Kilometer). Die Straße von Mussoorie bis Chandigarh schien gut gebaut zu sein, wir kamen schnell zu unserem Ziel, dem Taj Hotel, das im meist besuchten Stadtteil 17 A von Chandigarh liegt.
Chandigarh ist eine neu gegründete Stadt, nicht so dicht bewohnt wie andere Städte Indiens, mit einer Bevölkerung von weniger als einer Million, sie ist die sauberste Stadt Indiens und hat das höchste ProKopf- Einkommen im Land. Luis und Adrian fielen dort sehr große und teure Wagen auf, hier trifft man auf die bekanntesten Luxuswa-gen der Welt. Tara zeigte den Kindern
u. a. im Museum das Planungsbürovon Le Corbusier, und wir gingen zum Rock Garden, Sukhna Lake und zum Rose Garden. Wir spazierten zum Sektor 17A und erledigten dort einige Einkäu-fe.Schweren Herzens nahmen wir Abschied von Chandi-garh und flogen nach Delhi zurück.
Da Luis und Adrian bis jetzt nicht in Agra gewesen waren, stellte uns Sharma sein Auto mit Chauffeur für die Tagesfahrt dorthin zur Verfügung. Wir benutzten den Jamuna Express Way und kamen schnell in Agra an. Am Eingang des Taj Mahal dauerte es lange, bis wir die Tickets zum Eintritt bekamen. Ich hatte vorher nie so viele Inder dort gesehen, Europäer waren kaum unter den Besuchern. Ich blieb im Garten des Taj sitzen und ruhte mich aus.
Dabei dachte ich wieder an meinen Besuch des Humayun Tomb in Delhi mit Jussi im Jahre 2002. Das Grabmal dien-te als Vorbild für das Taj Mahal. Der Eintrittspreis für einen Europäer betrug damals 500 Rupien, dagegen für einen Inder lediglich zehn Rupien. Ich gab mich und Jussi als Inder an und zahlte nur 20 statt 1.000 Rupien. Mit einer Ersparnis von 900 Rupien kann man sich in Delhi damals für zwei Personen zwei üppige Mahlzeiten leisten. Der Schalterbeamte sagte mir, Saheb, Sie ja, Sie sind Inder, aber der Junge sieht nicht wie ein Inder aus. Ich schämte mich, entschuldigte mich und zahlte für Jussi als Ausländer die 500 Rupeen undblieb selbst draußen, da ich sowieso mehrere Male im Humayun Tomb gewesen war. Nach dem Besuch des Taj Mahals gingen wir zum Essen bei Pizza Hut. Maria und ich erinnerten uns an dieses Restaurant, hatten wir doch 2011 mit Ina, Lilia und Matilda dort gegessen. Auch diese Reise mit Tara, Luis und Adrian wird lange in meiner Erinnerung bleiben.
2016 verreisten wir zu dritt, Maria, Tara und ich nach In-dien. Auch diesmal buchten wir sämtliche Flug- und Bahn-tickets in Deutschland über Internet, das war jetzt ohne weiteres möglich. Wir übernachteten diesmal bei Guptas in Delhi, Pranav wollte es unbedingt so, als Revanche dafür, dass er, sein Vater und Großvater so oft bei uns in Bremen übernachtet hatten, einmal hat uns auch die ganze Familie in Bremen besucht. Er tat alles, um unseren Aufenthalt bei ihm für uns so angenehm wie möglich zu machen. Von Delhi flogen wir mit der Indigo Airline nach Jaipur. Leider hatten Maria und Tara schon in Delhi eine Magenverstim-mung, die sich in Jaipur fortsetzte.
Es war lange her, dass wir 1974 mit Tara und Ina Jaipur erlebt hatten. Im Gegensatz zu früher fiel uns auf, dass sehr viele Touristen dort waren und dass die dortigen Sehenswürdigkeiten wie das Hava Mahal, die Paläste, das Jantar Mantar (Sammlung von antiken astronomischen Instrumenten mit Sonnensteinuhr) sich in viel besserem Zustand befanden als früher. Kurz sahen wir diese an und fuhren nach Amber Fort, 11 Kilometer von Jaipur entfernt, ein Ort, den wir noch nicht kannten. Eine riesige Festungsanlage mit prunkvollen Gemächern der Herrscher, gebaut in Mogulnstil von Raja Man Singh auf einem Berghang gab es zu besichtigen, nachdem man den steilen Berg in der Hitze erklommen hatte. Es hatte wegen des dichten Ver-kehrs auf der kurvenreichen Strecke schon ziemlich lange gedauert, bis wir von weitem die eindrucksvolle Festung erblickten. Im Vergleich zu früher sieht man jetzt viele Rei-sebusse an den touristischen Orten Indiens stehen. Durch das angestiegene Bildungs- und Einkommensniveau besuchen auch viele Schüler mit der Unterstützung des Staates sowie Normalbürger die historischen Plätze Indiens - eine positive Entwicklung. Aber die Folge davon ist, dass vieles verdreckt und zertrampelt wird, und dass sich durch die Ansammlungen vieler Menschen Krankheiten ausbreiten. Ursprünglich hatten wir geplant, von Jaipur über Delhi direkt nach Patna zu fliegen. Aber diesen Plan ließen wir wegen der Erkrankung von Maria und Tara fallen. Die bei-den stiegen in Delhi am Flughafen aus, und ich setzte meine Flugreise wie ursprünglich geplant nach Patna fort, um meine Schwester Gurya zu besuchen. Es war mein letzter Besuch bei ihr, kurz danach starb sie. Nach meiner Rück-kehr aus Patna verbrachten wir wieder zusammen mit Verwandten und Freunden, die wir nicht so bald wiedersehen würden, schöne Stunden im Metropolitan Hotel von Delhi.
Tara hatte nicht die Zeit, so lange wie wir in Delhi zu bleiben, sie flog nach Deutschland zurück, wir indes machten uns mit dem Zug auf nach Chandigarh, wohl vermutend, dass es für uns das letzte Mal war, in dieser geliebten Stadt zu sein. Vor unserer Abfahrt nach Chandigarh brachte Sharma uns als Reiseproviant drei Flaschen Wein (aus Deutschland!), mehrere Flaschen Aqua pura und Obst. Aus gesundheitlichen Gründen sah er davon ab, uns nach Chandigarh zu begleiten, wir hätten ihn so gerne mitge-nommen. Er brachte uns in Delhi zum Bahnhof und holte uns nach unserem Aufenthalt in Chandigarh auch dort wieder ab, um uns vor unserem Abflug nach Deutschland mit nach Noida in seine Wohnung zu nehmen, von wo wir spät am Abend zum Flughafen gebracht wurden. Ich erzähle dies alles, da er uns und unseren Kindern als Freund immer treu blieb. Er war wahrscheinlich der einzige in Delhi, der das deutsche Essen, den Wein und die deutsche Musik liebte und der, um für uns und unsere Kinder deutschen Käse zu kaufen, 30 Kilometer nach Gurgaon in Haryana fuhr. Von seiner Zeit in Deutschland als Photograph und Filmemacher der Deutschen Welle in Köln her hatten wir viele gemeinsame Erinnerungen auszutauschen. Wenige Monate nach unserer Abreise starb er.
NACHWORT
Ich begann mit dem Aufschreiben der obigen Berichte in Columbia (Missouri), wohin ich 2018 im Alter von 85 zu reisen wagte, um mein im April 2018 geborenes jüngstes Enkelkind Carl, den Sohn von Jussi, zu sehen.
Oh, wie lange ist es her, dass ich mit meiner Frau und den Kindern in Indien war. Inzwischen sind 45 Jahre vergangen. Dort gibt es die Schlangenbeschwörer, Affen- und Bärenführer, Dorfwächter, Epenerzähler, das Wanderthea-ter und den Dorfzirkus nicht mehr. Alle meine engsten Verwandten und Freunde leben nicht mehr. Das Vergangene wird zu einer Geschichte und diese erzähle ich meinen Familienmitgliedern, die mich nach Indien begleitet haben und die mich noch liebevoll in Deutschland begleiten. In diesem Sinne wünsche ich Euch viel Glück und Erfolg im Leben.
Kaifi, Columbia/Bremen 2019
Fotos von unseren Indienreisen
Meine Biografie
Lieber Luis,
Interesse an den eigenen Wurzeln zu haben und den Opa danach zu fragen ist selbstverständlich. Was ich in Erinne-rung habe, werde ich Dir gerne erzählen. Ich wurde im Haus meines Großvaters mütterlicherseits in ShakraFaridpur, Post Office Dholi , District Muzaffarpur, Province Nord-Bihar in Indiengeboren
Zur Zeit meiner Geburt gab es keine Geburtsurkunden und auch noch keinePersonalausweise. Lediglich bei einer Auslandsreise musste man einen Pass besitzen, natürlich mit den Angaben zum Geburtsdatum. Allerdings musste bei der Zulassung zu einer englischen High School dasGeburtsdatum angegeben werden. Demnachwurde ich nach den Angaben meiner Eltern am12. 12. 1933 geboren, dies war kurz vor dem großen Erdbeben in Bihar (Skala 8,4) im Januar 1934. Unmittelbar nach meiner Geburt wur-de ich wegen Atemnot ins damals britische Hospitalnach Muzaffarpur (ca. 18 bis 20 km von Shakra) gebracht, um im Brutkasten versorgt zu werden. In diesem Zusammmenhang wurde mir auch erzählt, dass ich von einer Frau, die meinen Eltern bekannt war, gestillt wurde. Bis zu ihrem Lebensende wurde sie als meine zweite Mutter (Dusri Ma) respektiert und unterstützt.Das Haus in mei-nem Geburtsort,das in diesem Bericht gezeigt wird, wurde nachmeiner Geburtgebaut.
In Familienkreisen wurde stolz berichtet,dass meine Vor-fahren sich im 17. Jahrhundertnach einer Landschenkung des MoghulkaisersAkbar des Gr. für ihre treuen Dienste in Hamid Sarai (Nord Bihar) ansiedelten. Mein Großvater väterlicherseits, Chaudhury Maulana Abdul Wahab,gehörte zu den bekannten Persönlichkeiten Indiens. Um 1925 gründete er in Laheriasarai/Dharbanga (Bihar) die drittgrößte Islamische Theologische Schule, die dort noch unter den Namen „Darum UloomAhmadia“ existiert. Er war Großgrundbesitzer, besaß Ländereien auchWeitweg von seinem Geburtsort Bilaspur im Darbhanga District entfernt. Er war politisch engagiert, kämpfte gegen die britische Herrschaft, sprach sich gegen die Teilungsabsichten Indiens aus und saß infolgedessenjahrelangmit dem späteren ersten Präsidenten Indiens, Rajendra Prasad (1950-1962) im Gefängnis. In seinem GeburtsortBilaspur - Hayaghat steht ein Denkmal für ihn. Ein Foto davon hängt in meinem Zimmer in Bremen.
Mein Vater Abdul Mannan, Nickname Qasmi, wurde zum Studium in das neugegründete „!Jamia Milia Islamia College“ nach Delhi geschickt, die dort 1920 gegründet war. Einer der politischen MitbegründerdiesesCollege war Dr. Zakir Hussain Khan, ebenfalls ein bekannter Freiheitskämpfer, der von 1967-1969 der dritte Staatspräsident Indiens war. Mein Vater pflegte bis zu seinem Tod eine gute Beziehung zu ihm. Nach seinemStudium in Delhi ging mein Vater nach Bombay (Mumbai), bekannte sich als Kommunist und Atheist, arbeitete dort für die linken Hafengewerkschaften und schrieb für Zeitungen in der Urdusprache.
Mein Großvater mütterlicherseits (Nana, er hieß Abul Hasan) aus Shakra kam zu Reichtum, indem er ein sogen. Skin & Hide (Haut u.Fell)-Verarbeitungsunternehmen in der damaligen Hauptstadt Calcutta (Kolkota) aufbaute. Seine Waren verkaufte er an britische Agenten zur Herstellung von Lederwaren und mit dem Einkommen erwarb er Land in Shakra und wurde zum Grundbesitzer (Zamindar).
Meine Nani (Großmutter mütterlicherseits) erzählte mir, dass sie mich einmal als Kind nach Kolkotta mitnahm, wir lange mit Zug und Schiff (über den Ganges) fuhren und zum ersten Mal ins Kino (Cinema) gingen. Sie erzählte weiter, dass sie total erschrocken rausstürzen wollte, als es auf der Leinwand in dem Film brannte, in der Annahme, uns drohe ein realer Brand im Kinoraum. Nani hatte einen einzigen Sohn gebabt, Jussuf, der leider sehr jungan Gelbfieber gestorben war. Infolgedessen nahm ich in ihrem Le-ben quasi Jussufs Platz ein und sie zog mich auf, zumal meine Mutter sehr jung war (17, als ich geboren wurde).An meine Kindheit habe ich wenig Erinnerungen.
Im Alter von sieben oder acht Jahren litt ich wochenlang an Fieber und verlor viel Gewicht, einheimische Ärzte (Hakims und Vaids) tippten auf Kala Azar (schwarzes Fieber). Während meiner Krankheit wünschte ich mir Weintrauben zu essen, die ich einmal - aus England importiertin einem Holzkästchen sorgfältig in Watte eingewickelt - in einem hauptsächlich für Engländer bestimmten Geschäft der Stadt Muzaffarpur zum ersten Mal gesehen hat-te.Während der schlimmsten Phase meiner Krankheit hörte ich, dass Nani unserem Hausverwalter (Munshi) zuflüster-te, er solle diese Trauben schnell für mich von Muzaffarpur holen, wobei sie hinzufügte: „Wer weiß, wie lange der Junge noch lebt!“So kam ich einmal in den Genuss der von mir ersehnten Trauben aus England.
Als Kind besuchte ich gerne meine großzügige Tante (vä-terlicherseits) Barira in Damla in der Nähe von Champaran. Sie hatte zwei Elefanten alsArbeitstiere. Wenn ich sie besuchte,wurde ich ander Bahnstation Kamtaul von ihrem Mahwat (Elefantenführer) und einem ihrer Elefanten (Hathi) abgeholt. Der Gangmit dem Elefanten von der Bahnstation bis zu meiner Tante dauerte über drei Stunden. Wenn der Elefant unterwegsden FlußBhagmati überquerte und Wasser durch seinen Rüssel spritzte, hatte ich immer große Angst. Völlig durchnässt gelangte ich in einem pein-lichen Zustand auf dem Rücken des Elefanten ins Dorf. Dennoch genoss ich von oben die vorbeigehenden Men-schen unter mir. Für meine Rückreise erhielt ich vonmeiner Tante einige Rupien, von denen ich mir beim HalwaiSüßigkeiten wie Jelebi und Rasgulla kaufen oder auch ins Kino gehen konnte.Verglichen mit anderen Dör-fern war mein Geburtsort Shakra relativ gut entwickelt, er hatte einen Bahnhof (Dholi), ein Kleinhospital (Dispensary mit einem Compounder), eine Polizeistation (Thana), ein Katasteramt (Registry),je eine Middle- und Highschool auch mit englischem Unterricht und einen Basar.Alle diese Institutionen hatten wir Mr Danby (E. M. Danby) aus Großbritannien zu verdanken, der nicht weit von uns in Dholi (am Fluss BurhiGandak, einem Arm des Ganges) Farmland besaß. Dort wurde 1960 eine der größten Landwirtschaftsschulen (TirhutAgricultural College) Indiens gegründet.1978 hat DeineOma diese Schule besichtigt. Wir haben zusammen von Shakra aus eine Wanderung am Fluss entlang dorthin gemacht. Der Ort Shakra mit dieser Umge-bung war im Vergleich zu vielen anderen Dörfern der Re-gion gut entwickelt, und ich empfinde es als großes Glück, dort geboren und aufgewachsen zu sein und vor allemdank Mr. Danby eine damalsmoderneSchulbildung erhalten zu haben, die es mir in späteren Jahren ermöglicht hat,weiter zu kommen. Wie sah es in unserer Freizeit aus ?
Unsere Kinderspiele waren Beschäftigung mit Wettren-nen und Schnappen eines Stockes (Kabaddi), Murmelspiele (Golikhel), Drachenspiele (Guddi)) u. a.Wenn die Schule aus war, ging ich fast immer zum Basar, Bauernmarkt (Haat)und zum Zentrum des Dorfes, dem Bahnhof, umdort sowohl die Zugpassagiere als auch die manuell-mechanisch gesteuerte Arbeit der Bahnbeamten bei der An- und Abfahrt der Züge zu beobachten. Höhepunkte im Jah-resablauf lagen bei den festlichen Ereignissen wie Dasserah, Diwali, DurgaPuja,Holi, Id und Muharram, die tagelang zelebriert wurden.
In bester Erinnerung habe ich noch die Hochzeitsfeste (Biah, Shadi, Gauna genannt), die gewöhnlich nach den Erntezeiten in Großzelten stattfanden undmindestens zwei Tage andauerten. Mit den anderen Schulkindern erlebte ich den Auftritt des Bräutigams auf einem dekorierten Pferd, begleitet von vielen Fanfaren mit bunten Girlanden ge-schmückt und Hunderten von hungrigen Hochzeitsgästen, diemit Ochsenkarren, Pferden undElefanten von Trommeln und Trompeten begleitet dabei waren, sowie Akrobaten, Gaukler und die Professionellen als solche, die auf Bestel-lung furzten (Paadwala). Ich ging in die Zelte, um Gesang, Tanz , Treiben der Fremdgäste und aufgetürmten Mitgiftsgeschenke (Dowry, Jahez) für die Braut mitzuerle-ben. Heute noch erinnere ich mich gerne an den letzten Tag der Hochzeit, an dem der Bräutigam mit der Braut und seinen Leuten nach Hause fuhr. Die Eltern der Braut sowie fast das ganze Dorf weinten herzergreifend, wenn die Braut ihr Elternhaus, vielleicht für immer, verlassen musste.
Bei der Gelegenheit denke ich an ein Transportmittel, das unserer Familie gehörte, an unseren Baldachin (Palki) in Shakra.Wenn nämlichder Ort eines Hochzeitsfestes eines Verwandten mehr als 10 km von Shakra entfernt war und kein Zug dorthin fuhr oder auch keine richtige Straße dort-hin existierte, dann wurde meine Oma/Mutter/Tanten in unserem Palki sitzend dorthin gebracht, den vier besonders gekleidete Träger (Kumrahr) trugen. Den Palki hat deine Oma aus Deutschland 1974 bei uns im Hof im verrottetem Zustand gesehen, 1978 bei Omas zweitem Besuch war er nicht mehr da. Auf meine Frage, wo der Palki sei, antwor-tete meine Mutter, er sei längst als Brennstoff verbraucht worden, ihn und „die Träger“ könne siesich nicht mehr leisten. Die Träger waren übrigens mangels Beschäftigung schon längst nach Delhi und in den Punjab gegangen.
Hochzeiten waren natürlich nicht alle Tage, aber esgab auch andere vergnügliche Veranstaltungen für uns Kinder. Dazu gehörten die Auftritte Schlangenbeschwörer (Sapera), die ihre Schlange nach dem Rhythmus ihrer Flöte (Bansuri) tanzen ließen sowie die Stunden dauernden Hochzeiten von Affen (Banderbiah) und die Tänzeder Bä-ren (Bhalu). Witzig fanden wir das vorgetäuschte Aufpus-ten der Kinderpopos durch die Bären. Die Idee dahinter war, dass die Kinder dadurch dicker werden sollten.
Außerdem kamen immer wieder andere Wandergruppen von Dorf zu Dorf. Angeboten wurden Ringkämpfe (Kushti), Schattenspiele (Kathputli bzw. Hozfigurenspiel) und Wandertheater (Natak), das v. Chr. in Indien. In Natak traten nur Männer auf, auch Frauenrollen wurden aus-schließlich von Männern gespielt.Die Inhalte der Spielstücke stammten häufig aus den epischen Sagen wie Mahabaharta und Ramayana oder ausden Märchen von Tausendundeine Nacht wie Ali Baba und die vierzig Räu-ber oderdie indienweit bekannten Geschichten der Liebes-paare Laila undMajnun oderHeer und Rangha .Mit Span-nung verfolgten wir aber auchdie Ankunft von Zigeunern (Banjara, Khanabadosh) in Shakra, die häufig in unserem Mangofeld übernachteten.Siegingenals Kesselflicker, Mes-ser-schleifer, Altwarenhändler durch das Dorf, und ihre Frauen boten den DorfbewohnerinnenSchmuck- und Kurzwaren (z. B.Anjuti, Bali, Churis, Kara, etc.) an, betätigten sich auch als Wahrsagerinnen. Wochenlangaber blie-ben wir wachsam, da sie angeblich klauten. ZurErinnerung an meine Schulzeit gehört auch, dass meine Großmutter (Nani) mich oft vor Beginn derMorgendämmerung mit einer Kerosinlampe (Dibia) zum Lesen aufweckte und flüs-terte:Dies ist die beste Zeit zum Lernen, konzentriere dichwie ein Fischreiher (Bagula) am Ufer des Teiches und lies laut wie ein Krähe (Kawwa),so sagt es der Guru (Leh-rer) seinem Schüler (Chela) (Schüler).Zu dieser frühenStunde kamen gewöhnlich einige Schüler aus der Nachbarschaftzum Lesen zu uns, die sich bei sich zu Hause keineKerosinlampe leisten konnten. Wenn ich das erzähle, denke ich natürlich anmeine High School, die
ca. 1 km von unserem Haus entfernt war, und an meinen Hund Jelly, der ausNepal kam, der mir täglich mein Mittagsessen um sei-nen Hals gebunden in die Schule brachteund auf dem Schulgelände geduldig auf mich wartete. Ebenso brav war-tete er auch am Bahnhof Dholi zu später Stunde auf meine Rückkehr von Muzaffarpur nach einem Kinobesuch. Durch sein Bellen verriet er meine unerlaubte Abwesenheit, wo-durch meine Nani aus dem Schlaf gerissen auf den Hof kam und mich beschimpfte, wieder sei ich ins verdammte Kino gegangen.(Es hat sichwahrscheinlich damals bei mir eine gute Beziehung zu Hunden entwickelt.Obwohl ich in Deutschland nie einen eigenen Hund gehabt habe, baute ich schnell eine sehr herzliche Beziehung zu Rexi, dem Hund deiner Urgroßmutter in Rehbach auf, und genausozu dem gleichnamigen Hund Rexi deines Onkels Jussi in Co-lumbo(USA).
Um diese Zeit kamen Nepalesen nach Nordbihar, um mit dem Zug in die britischen Verwaltungsstädte zu fahren, dort eine Arbeit als Coolies (Gepäckträger),Chowkidar, Durban (Wächter) oder Soldat (Sepoy) zu finden. Da sie wochenlang zu Fuß in den Bergen unterwegs gewesen wa-ren, hatten sie sich mit einem Seil zusammengebunden, um sich vor Abstürzen zu schützen. Da sie keine saubere Klei-dung und Badmöglichkeiten hatten, sahen sehr schlecht aus und stanken. Bemitleidend beobachten wir sie an unserem Bahnhof von Dholi Shakra.
In unserem Haus wohnte vorübergehend für ein paar Monate einer unsererLehrer aus der High School (er hieß Anugra Singh), ein streng vegetarischer Hindu, der separat für sich kochte und mit uns Schülern zusammen zum Ki-nobesuch nach Muzaffarpur ging und uns von seinem Haus, seiner Frau und und seinenKindern erzählte, die leider weit weg (über 50 km) wohnten. Es gehört zu meiner Biografie, dass ich in meinem Dorf mit vielen Menschen in der Familie aufwuchs, auch mit solchen, die Behinderun-gen hatten: Lahme(Lengra), Einäugige (Kana) und Taub-stumme (Gungra, Batiaha), die mehr oder weniger zum Erhalt des Familienlebens beitrugen.
Als einziger jüngerer Stammhalter der Familie ging ich ab und zu zum Einkaufen der Familiennotwendigkeiten. Ich erinnere mich sehr gerne an meine Reisen nach Muzaf-farpur mit einem wohlhabenden Verwandten. Er nahm mich mit zu seiner heimlichen Kurtisanin, einersogenannten Tawaif. Mit ihren Musikern, die Harmo-nium, Tabla-und Sarangi (Saiteninstrument) spielten, sang sie Ghazals (Urdugesänge) und tanzte dazu Kathak (northindischer Tanz). Die Tawaifs waren sehr kultivierte Frauen, die von den Adligen zur Erziehung zum Benehmen (Tehzib) ihrer Kinder eingesetzt wurden.Als ich 1978 Indi-en besuchte, waren sie wie die Devdasis aus den Tempeln Indien verschwunden. Ebenso stellte ich dort fest, dass die chinesischen Zahnzieher, die nach dem Krieg in der Manchurai 1931 nach Muzaffarpur geflüchtet waren, wie-der nach China zurückgegangen oder zurückgeschickt worden waren.
Es waren auch viele Arme in unserer Verwandtschaft, die aus anderen Dörfern zu uns zu Besuch kamen, tagelang bei uns blieben, um gefüttert zu werden. Nach einer gewissen Aufenthaltszeit bekamen sie lediglich Roggenbrot (Marwaroti) mit Auberginen (Baigen) zum Essen und Tee ohne Milch und Zucker - traditionelle Signale der Gastge-ber in Nordbihar, die bedeuteten, dass die Gäste jetzt un-erwünscht waren.
Es wäre auch Interessant zu erfahren, dass nach dem En-de der britischen Herrschaft1947 in ruralen Bihar noch die uralte System der Tauschwirtschaft gab. Mit Erstaunen beobachtete mein FreundDr. Viorel Roman 1972 aus Deutschland , wie die Wäscher (Dhobi), Barbier (Nai, Hajam), Chamar (Schumacher), Kadaverentferner (Dom), Toilettenreiniger (Mehter) ihre Ernteanteile für ihre Dienst-leistungen von unserer Familie bekamen. Da ich jetzt hier in Deutschlandauf der Sonnenseite des Lebens lebe, denke ich oft mit Wehmut an die damaligen Verhältnisse in mei-nem Geburtsgebiet im Gangesdelta, berüchtigt für starken Monsunregen und Überschwemmungen, die unsere Ernten vernichtete, Lehmhäuser wegriss, Hunger, Krankheit und Tod für viele Ärmere verursachte. Heuteweiß ich, dass von dort fast alle jüngeren Menschen in die Städte geflüchtet sind unddie Dörfer dort nur von der älteren Bevölkerung bewohnt werden.
Auch ich habe ja mein Dorf verlassen, um weiter zu stu-dieren, aber nicht sofort nach meinem Hauptschulabschluss (Matriculation) im Jahre 1948, sondern vier Jahre später, nachdem ichals männlicher Platzhalter zu Hause geblieben war. Mein Vater hatte Bihar sehr früh Richtung Mumbai verlassen, er fühlte sich nicht wohl in der Umgebungmit den dörflichen Ansichten und Lebens-weisen, erst recht nicht mit der dort besonders strengen Kasten- und Klassen-struktur. Er wollte, dass ich nach Mumbaikam und dort studierte.Der Gedanke, dort mit ihm in einer berühmten modernen Stadt zu leben,faszinierte mich.Zum Glück fand ich einen jungen Mann aus meiner Schulzeit, der in Mum-bai bessere Arbeitsmöglichkeiten witterte.So hatte ich einenFahrgenossen für dielange Reise.1952 verließen wirShakra gemeinsam mit einem lachenden und einem weinenden Auge. Die Fahrt von fast 2.000 Km mit demDampfzug nach Mumbai überBenares, Moghulsarai, Jabalpur, Bhusawal, Nasik, etc.dauerte mehr als drei Tage und Nächte, mindestens vier Mal mussten wir unterwegsumsteigen.Das Schienennetz in Indien war da-mals eingleisig, und die Züge mussten oft stundenlang an den Bahnhöfen stehenbleiben, um den Verkehr aus der Ge-genrichtung vorbei zu lassen. Manchmal mussten wir sogar aus dem Zug aussteigen, um zu FußBrücken zu überque-ren, diezu marode erschienen oder gerade repariertwurden.Dennoch langweilten wir unsim Zug nicht, sahen vom Zug aus zum ersten Mal die Ganges- und Narmadaebene, Vindyachalgebirge, Dekkanplateau und Westghats, erlebten Mitreisendemit Hühnern, Schafen, Ziegen etc. aus unterschiedlichen Landesteilen und Sprach-räumen. Wenn wir über die Brücken dergroßen Flüsse fuh-ren, hörten wir die ehrfürchtigen Rufe von Zuginsassen „Lang lebe Mutter Ganges“ (Ganga Mata kiJai). Wir erleb-ten das ständige Kommen und Gehen und Rufen von Warenverkäufern im Zug: Chai!, Betel! (Paan), Roti!, Pakora!, Samosa!, Kela! (Bananen) und Amrood! (Goave). Wir hör-ten gerne die Musik der Sarangis und das Trommeln der Sadhus und Fakire, die religiösen Lieder (Bhajan und Bhakti) des Mystikers Kabir und sahen die Mitreisenden auf den Zuggängen kochen und auf dem Dach des Zuges schlafen. Der Zug blieb für uns die ganze Zeit ein wahrer Kirmesplatz, aber nur so konnten wir die lange Fahrt auf den schmalen Sitzbänken ohne Schlaf und mit wenig Essen überstehen.
In Bombay holtemein Vater uns am sehenswürdigen Vic-toria Terminal Bahnhof ab, wir waren schmutzig und von der Dampflokomotive verrußt . In dem Moment vermisste ich mein bisheriges ruhiges Leben in meinem Dorf. In Mumbai studierte ichvon 1952 bis 1956an dem bekannten Wilson College (Missionscollege) in Chowpatty am Arabi-schen Meer. Während des Studiums wohnte ich an ver-schiedenen Orten wie in Worli (bei Haji Ali) und Byculla und verdiente nebenbei ein bisschen Geld durch Unterrich-ten von Kindern aus gutsituierten Familien, meist von Ge-schäftsleuten des Crawford Market. Während unserer Auf-enthalte in Mumbai 1978 und 1990 habe ich deiner Oma und unseren Kindern den Ort meines Studiums gezeigt
undihnen auch meine Freunde von damals vorgestellt (s. Unsere Reise mit den Kindern nach Indien).Nach Ab-schluss meines Studiums mit dem Bachelor of Art in Öko-nomie 1956 wünschte mein Vater, dass ich weiter studierte, ich aber wollte Geld verdienen und selbst-ständig werden. Daraufhin besorgte er mir durch einen einflussreichen Freund in Mumbai einen gut bezahlten Job bei der British (Qatar) Petroleum Company für drei Jahre.
Ich fuhr mit dem Schiff Daressa über Karachi und Muscat nach Qatar. Die Fahrt dauerte fünf Tage. Dortarbeitete ichin der Zentrale der Gesellschaftund in der Wüste, wo nach Öl gesucht wurde. Ich führte Buch über die Anwe-senheit der arabischen und asiatischen Drillarbeiter. In der Wüste wohnte ich in einem komfortablen Zelt,bekam dort gutes Essen serviert, englische Biscuits und Kuchen zum Tee. Zu meiner Zeit hatte der dortige Scheich lediglich Esel als Verkehrsmittel. Die Engländer bestanden darauf , dass wir den Scheich in einer demütigenBuckhaltung begrüßten, wenn er bei uns vorbei- kam. Wir wurden als Angestellte der Gesellschaft ein- bis zweimal im Jahr mit ei-nem Hubschrauber zum Vergnügen nach Bahrain gebracht, damals die einzige Stadt in der Umgebung. Nach dem Ablauf meines Vertrags 1959 musste ich Qatar verlassen.
Daraufhin riet mein Vater mir von einer Rückkehr nach Indien ab, in der sicheren Annahme, dass ich in Shakrazu einem höheren Preis (Dowry) verheiratet würde und meine Zukunftsmöglichkeiten im Dorfleben vergeuden würde, und er empfahl mir zum weiteren Studium nach England zu fahren. Er gab mir ein Empfehlungs-schreiben eines seiner Freunde an die indische Botschaft in London mit. Ich ent-schied mich für die sofortige Reise nach Englandund ließ vom Konsul die Länder meiner Durchreise in meinen Pass eintragen.
So verließ ich Qatar und reiste mit einem Schiff nach Basra, von dort mit dem Bus nach Baghdad und nahm danndenlegendären „Orient Express“ über Aleppo, Istanbul,Saloniki, Zagreb, Belgrad und durch Österreich und dieSchweiz nach Deutschland, eine Reise, die mit Unter-brechungen über 15 Tage in Anspruch nahm. Mein Reise-gepäck bestand aus einem großen schweren handgemachten Lederkoffer aus Bombay. Ich passte immer gut auf mein erspartes Geld auf, meine Walzflex Spiegelreflexka-mera und meinen Remington Rasierapparat auf, Dinge, die deine Oma noch als Andenken aufbewahrt hat. Wie bereits erzählt, wollte ich ursprünglich nach London gehen,traf aberzufällig im Orient Express einen Iraker, der nach Deutschland fuhr und vollerBegeisterung von der Freundlichkeitder Deutschen gegenüber den Studenten aus der Dritten Welt berichtete, außerdem von aussichtsreichen Möglichkeiten bezüglich Aufenthalt, Studium und Arbeit dort. Er machte mir Angst vor der kolonialen Arroganz der Engländer und den dortigen Zulassungsschwierigkeiten. Statt nach Dover zu fahren, wie ich es ursprünglich vorge-sehen hatte, kam ich also Ende 1959 nach Bonn. Die lange Reise von Qatar nach Deutschland war nichtohneaufregendeZwischenfälle gewesen.
Bei meiner Ankunft am 12. August 1959 in Basra (Irak) hatte zu meinem Unglückdamals der General Qasim gegen die britische Hoheit geputscht und die Macht übernom-men.Der irakische Beamte in Basra verweigerte mir die Einreise in den Irak mit der Begründung, da ich die britische Einreisegenehmigunghabe, könneman meineEinreisegenehmigungvon Großbritannien nichtakzeptieren. Man befahl dem britischen Schiffskapitän, mich nach Qatar zurückzubringen. Nach der Intervention des indischen Konsuls in Basra wurde mir doch erlaubt, das Schiff zu verlassen.Einen Tag blieb ich in Basra und fuhr dann mit einem Bus nach Baghdad, um meine Reise mit dem Orient Express nach Europa zu anzutreten.Ein weiteres Ereignis auf dieser Tour bleibt mir im Gedächtnis: Bei der Kontrolle an der türkischen Grenze fand der Beamte in meinemKoffer einen Atlas,in dem Konstantinopel als Hauptstadt der Türkei bezeichnet war. Er wurde wütend, strich die Bezeichnung durch und schrie, es heißedoch Is-tanbul. In Jugoslawien nahm der Zollbeamte mir meinen Pass ab, da ich ausländische Währung (Dinar) und auch Traveller Cheques (in Sterling Pfund) im Wert von 360,- bei mir trug. Er konnte sich nicht vorstellen, dass ein Inder soviel harte Währungbei sich führte und ließ am 30. August 1959 die Pfundsumme offiziell in meinen indischen Pass eintragen, bevor ich weiterfahren konnte. Vage erinne-re ich mich daran, dass ich in Baghdad in einer alten Karawanserei am Tigris mit vielen Leuten auf einem Teppich schlief. Später stellte ich fest, dass mir irgendwo auf meiner Reise meine zwei schönen Seidenhemden abhandengekommen waren, die mir meine Freunde zu meinem Abschied in Qatar geschenkt hatten. Die ganze Reise über war ich in Sorge wegen meinesflüssigen Bargeldes, das ich versteckt halten musste, um von den Grenzkontrollern nicht beraubt zu werden.
Anfang September kam ich in Bonn an.Meine Reise von Qatar bis Bonn mit dem Schiff, Bussen und Zug hatte einschließlich aller meiner Aufenthalte unterwegs lange ge-dauert. Ich hatte mir überhaupt nicht vorstellen können, in der Hauptstadt eines Landes zu landen, die so massiv zertrümmert war.Ein paar Tage verbrachte ich in einem zerbombten Hotel am Bahnhof Bonn und besuchte den indi-schen Kulturattaché, der mir empfahl, zur Fortsetzung meines bisherigen Ökonomiestudiums nach Köln zu gehen. Ich ging zur Commerzbank in Bonn und zeigte dem Bank-angestellten meine TC zum Umtauschen in DM. Daraufhin sagte er, dass ich nachdrei Wochen zu ihm wiederkommen sollte, da es mindestens so lange dauere, bis die Echtheit der TC geprüft worden sei. So fuhr ich nach Köln und be-kam dort im Evangelischen Studentenheim in der Bachemer Strasse einen Platz zum Wohnen. Als ich nach drei Wochen nach Bonn in die Commerzbank kam, um mein Geld in DMabzuholen, stellte man dort,dass leider bis dahin keine Bestätigungbei der Bank zur Auszahlung vor-lag.wurde.Was nun ? Ich kannte niemanden dort, hatte auch kein Geld für die Rückfahrt und es wurde allmählich dunkel . Als Ausländer traute ich mich nicht ohne Fahrkar-te zu fahren. So entschied ich mich, zu Fuß entlang der Rheinuferbahnstrecke nach Köln zu gehen. Irgendwann spät in der Nacht erreichte ich erschöpft mein Ziel in Köln. Im zweiten oder dritten Anlauf bekam ich später meine TC in Bonnumgetauscht in ca. 4.100 DM (zum Kurs von 1Pfund = 14, 60 DM) - das Geld reichte mir fürs Erste, um über ein Jahr in Köln zu leben. Mir gefiel Köln, ich traf einige Inder,ging zum Essen in die Mensa,nahm an Deutschkursen für Ausländer teil und immatrikulierte mich 1960 an der Universität Köln zumStudium der Wirt-schaftswissenschaften, kämpfte michdurch die deutschen Fachbücher und fing an, über denStudentenschnelldienst etwas Geld zu verdienen, um meine übriggebliebenen Er-sparnisse nicht aufbrauchen zu müssen. Dabei erinnere ich mich an meine erste Einladung zum Weihnachtsfest 1961 im Evangelischen Studentenheim Köln. Dort bekamen die ausländischen Studenten mindestens ein Hemd als Ge-schenk.
Ein palästinensischer Student fragte mich, ob er in dem Studentenheim dabei sein könne, da er bei seinem alten Gastgeber wieder die Rolle eines Mohrenkönigs unter dem Tonnenbaum spielen müsse.
Mein erster Job war bei der Zentralverwaltung des Kaufhofin der Gardinenabteilung, deren Leiter Herr Lange war, einer meinerGönner, der in mir einenstrebsamen Jun-gen sah und mich zum Vorarbeiter seiner Abteilung machte. Da habe ich 1960 auchdeine Oma kennengelernt, die ebenfalls einen Studentenjob in dieser Abteilunghatte. Wir verliebten uns und sind seitdem stets zusammengeblieben. In diesr Zeit lernte ich Prof. Gerhard Weiser in seiner Vor-lesung (Sozialpolitik) kennen, der auch im Vorstand der Friedrich-Ebert-Stiftung war . Er besorgte mir bei dieser Stiftung1961 ein monatliches Stipendium von 250,- DM.Nach ein paarSemestern traf ich Prof. Karl Newman, der während der Nazizeit in Indien und Pakistan gelebt hatte und als Professor für Politik nach Köln zurückgekehrt war. Er beschäftigte mich als Hilfskraft in seiner Instituts-bibliothek für 150,-DM monatlich, auch ein Segen für mich. Zur Zeit meines Studiums waren wenigeInder in Deutschland, ich schrieb zahlreiche Aufsätze für die Öko-nomieabteilung der Deutschen Welle in Köln über die Ein-drücke und Erfahrungen von Ausländern in Deutschland und verdiente gar nicht schlecht dabei.Kurzgesagt, ich leb-te während meiner Kölner Studentenzeit ganz gut, wohnte in einer Einzimmerwohnung in Uninähe (Dasselstraße) in einem neugebauten Haus, wo ich einen Kühlschrank hatte und dank einer Doppelkochplatteauch kochen konnte für die damaligen studentischen Verhältnisse ein Luxus! Mitstudenten beneideten mich sehr um meine Ausstattung undkamen gernezu mir zum indischen Essen. Ein paar Mal lud ich auch Prof. Newmann bei mir zum Essen ein, der begeistert war, damals gab es in Köln wie auch in den wenigsten Städten in Deutschland kein einziges indisches Restaurant.
Nebenbei gesagt gehört es zu meiner Biografie der studentischen Zeit in Köln, dass ich dort zahlreiche Studenten aus der Dritten Welt wie Ägypter, Palästinenser, Indonesier, Pakistaner, Perser, Chilenen und Inder aus Kenya, Uganda, Punjab, Kerala und Madras kennenlernte. Damals veranstalteten die deutschen Stiftungen, Gewerkschaften und kirchlichen Vereine Tagungen und Seminare für Stu-denten aus der Dritten Welt und luden uns häufig ein. Auf-grund von Stipendien-vergaben und einer liberalen Vi-sums- und Zulassungspolitik kamen viele Studentenausder Dritten Welt nach Deutschland.Aus der Kölner Zeit habe ich noch Freunde in Deutschland. Zu meinem 80. Geburts-tagsfest im Dezember 2013 lud ich einige von ihnenins Hotel Coellner Hof ein.
1966 legte ich meine Diplom -Prüfung als Diplom -Kaufmann ab, 1967 heirateten wirin Köln. Danachbegann ich meine Doktorarbeit über das indische Bankwesen bei Prof. Hahn in Köln. Zur Finanzierung meinerDoktorarbeitschrieb ich Artikel für die Indien- und Wirtschaftsabteilungder Deutschen Welle. Um diese Zeit wohnte ich 1968 zeitweilig mit deiner Oma in Wuppertal, da sie dort ihre Referendarausbildung für das Lehramt an Höheren Schulenabsolvierte. Rein zufälligbegegnete ich dort einmal dem irakischen Zugfahrtgenossen aus dem Orient Express, der ein Angestellter des Kaufhofs in Wuppertal geworden war. Meine Doktorarbeit musste ich leider abbrechen, da mein Doktorvater als Gastprofessor nach Kabul ging. Das war eine schwierige Situation für mich.Zufällig erfuhr ich, dass in den deutschen Universi-tätsbibliotheken Leute gesucht wurden. Mir wurde empfoh-len, mich um eine Referendarstelle für den höheren Dienst an Universitätsbibliotheken zu bewerben, da ich ja ein ab-geschlossenes Studium hatte. Ökonomen für die zahlrei-chen neugegründeten Hochschulen und Universitäten in Deutschland wurden dringend gesucht. So erhielt ich 1968 einen Ausbildungsplatz als Gastreferendar am Bibliothekar Lehrinstitut des Landes Nordrhein Westfalen in Köln und dazu noch eine finanzielle Unterstützung von der Heinrich-Herz-Stiftung. Gestützt auf meine Befragungschrieb ich für die Prüfung 1971 eine Hausarbeitzum Thema „Biblio-theksbenutzung von ausländischen Studenten in Köln“, die als erste empirische Arbeitüber die Bibliotheksbenutzung von Ausländern in Deutschland im „Mitteilungsblatt. Ver-band der Bibliotheken des Landes Nordrhein-Westfalen“. Jg. 22(3) 1971 erschien und 1972 in „ Zur Benutzerfor-schung in Bibliotheken beim Verlag Saur“ (Mün-chen)veröffentlicht worden ist. Ich wurde in der neuge-gründeten Universitätsbibliothek Bremen 1971 als Fachre-ferent für Ökonomie eingestellt. Aufdie Empfehlung des damaligen leitenden BibliotheksdirektorsDr. Rolf Kluth hin wurde ich schon 1972 von der Freien Hansestadt Bremen eingebürgert und 1973 zum Bibliotheksrat ernannt, 1974zum Leiter der Fachabteilung Jura und Ökonomie berufen und 1975 zum Oberbibliotheksrat beför-dert.Wahrscheinlich war ich damals der einzige gebürtige Ausländer in einer solchen öffentlichen Position weit und breit. Ehrlich gesagt, ich hatte als Ausländer auch Glück im Privatleben. Nach anfänglicher Skepsis bezüglich unserer Ehe seitens der Familie deiner Oma aus dem katholischen Bergischen Land, wurde ich bald herzlich von ihnen auf-genommen, begleitete den Tod des Vaters, der Mutter und des Bruders deiner Oma.
1989 promovierte ich noch im Alter von 56 Jahren an der Universität Oldenburg über das Thema „Die sozioökonomischen Determinanten des indischen Gesundheits-wesens unter Berücksichtigung kolonialer Strukturen“, die Doktorarbeit wurde 1991 beim Fischer Verlag Frank-furt/a.M. veröffentlicht und erschien in demselben Verlag auch in englischer Sprache. Für mehrere Jahre war ich ne-benberuflich alsLehrbeauftragter für die sozio-ökonomischen Themen der Dritten Welt an der Universität Oldenburg tätig. Über Indien und Ausländer in Deutsch-land schrieb ich in verschiedenen Zeitschriften und Bü-chern, siehe „ www.Indienwelt.weebly.com“. Ich wurde häufig zu Vorträgen über Immigranten in Deutschland (Asiaten, Inder, Afrikaner) in Deutschland eingeladen und beinamhaften akademischen Vereinen als Referent und Organisator eingesetzt. Während dieser Zeit besuchten Dr. Wolfgang Ulland von der Ibero Amerikanischen Bibliothek Berlin, Prof. Dr. Viorel Roman von der Universität Bremen und Dr. Wolf Just von der Evangelischen Akademie an der Mühlheim a. R. mit seinenKollegen meine Familienmit-glieder in Shakra und Patna.
Bei der Beschreibung meines Lebenslaufs habe ich be-wusst Enttäuschungen, Fehltritte, Rückschläge und Schmerzen ausgeklammert, da ich sie als unverzichtbaren Bestandteil des Lebens betrachte. Im Sinne des indischen Sprichwortes: Habt nur Geduld, nach der Dämmerung kommt immer die Morgenröte.Wie auch immer, lieber Luis, der Werdegang deines Großvaters ist einer unter un-zähligen, die immer wiederkehrende Wandergeschichteeines Einwanderers. Mein früherer behandelnder Arztsagte mir nach meinem Wirbelsäulenbefund, dass meine Vorfah-ren wahrscheinlich aus dem Wolga-Uralgebiet nach Indien kamen. Vorfahren deiner deutschen Oma Maria siedelten von Frankreich nach Deutschland über, alsobist du ein Produkt des Abend- und Morgenlandes. Du und deine Ge-schwister Dina und Adrian leben in Aachen, Ina mit ihren Kindern Lilia und Matilda in Berlin, Jussuf mit seinem Sohn Carl in Columbia, Missouri (USA). Deine Mama Tara und deine Tante Ina sind in Köln geboren, und dein Onkel Jussuf in Bremen, sie leben heute ganz anderswo. Wo unsere Nachfahren geboren, leben und vergehen wer-den, weiß keiner. Wie auch immer, zu meinem 85. Geburts-tag wünsche ich Dir, meinen Kindern, Enkelkindern viel Glück und Erfolg in einer friedlichen Welt.
Dein Opa, Dr. Abdul Khaliq Kaifi (Oberbibliotkeksrat a. D.) z. Zt. Columbia (Missouri USA),den 12. Dezember 2018
Veröffentlichungen
Studenten aus Entwicklungsländern schätzen die Ausbil-dung auf deutschen Universitäten. In: Kölner Stadt-Rundschau. Köln. 28. Dezember 1962. S. 14/November 300.
Farbige unter Weißen. In: Vorwärts. Bad Godesberg. 27. März. 1963. S.15.
Bibliotheksbenutzung durch ausländische Studenten (Auszüge der Arbeit zur Prüfung für den höheren Dienst an wissenschaftlichen Bibliotheken der BRD 1971). In: Zur Benutzerforschung in Bibliotheken. Verl. Saur. München 1972.
S. 153-164und In: Mitteilungsblatt. Verband der Bib-liotheken des Landes Nordrhein-Westfalen. Neue Folge. Jg. 22(3). 1971.
S. 190-197.
Bremen kann einen neuen Anfang setzen. Universitäten bieten Ausländern zu wenig Hilfe. In Weser- Kurier. Bre-men. 18. August 1971. S. 3.
Bestandsverzeichnis der Fachbibliographien Wirtschafts-wissenschaften. Staats- und Universitätsbibliothek Bremen. 1975. S. 24.
Literaturdokumentation wirtschaftswissenschaftlicherProjekte 1972-1975. Univer-sität Bremen. 1975. S. 98.
Studien- und Bibliothekshilfsmittel für die Studierenden der Wirtschaftswissenschaften an der Universität Bremen. 1976- S. 95
Verzeichnis multinationaler Konzerne im Weltwirt-schaftssystem. Universität Bremen. 1978. S. 242.
Großbanken im Weltwirtschaftssystem. Universität Bre-men. 1980. S. 289.
Literaturdokumentation wirtschaftswissenschaftlicher Projekte 1972-1980. Universität Bremen. 1980. S. 163.
Sozio-ökonomische Determinanten des indischen Gesundheitswesens unter Berücksichtigung kolonialer Strukturen. Diss., Universität Oldenberg. Fischer Ver. Frankfurt/M. 1990.
S. 276.
Medizin, Gesellschaft und Gesundheitssysteme im afro-asiatischen Raum. In: Traditionelles Wissen und Moderni-sierung. Hrsg. Afrikanisch-Asiatische Studentenförderung. Jahrbuch 1991 Göttingen.
Socio-economic Determinants of Health Systems in India under the Aspect of Colonial Structures. Fischer Ver. Frankfurt/M. 1992 – englische Ausgabe der deutschen Diss.
Wasser als Bestimmungsfaktor der sakralen Macht und Despotie im Leben der Völker. Im Rundbrief. Jg. 7(2). Göttingen 1992. S. 25-28.
Die Kasten- und Klassen Indiens im Spannungsfeld der Macht und der ökonomischen Entwicklung. In: Ökonomi-sche Ethik in Afrika und Asien. Hrsg. Afrikanisch-Asiatische Studentenförderung. Jahrbuch 1995. Göttingen. S. 176-191.
Die Studenten aus der Dritten Welt in Deutschland ges-tern und heute. In: Afrika Asien Rundbrief. Jg. 10(2). Göt-tingen 1995. S. 32-33.
Kasten- und Klassenstruktur Indiens. In: Wider den Geist. Festschrift zum 65. Geburtstag von Prof. Ravasani. Hrsg. Andreas Lembeck. Universität Oldenburg 1996. S. 159-180.
Beitrag des Südens zur technisch-naturwissenschaftlichen Entwicklung des Nordens am Beispiel der Medizin. In: Globalisierung der Wissenschaft. Hrsg. Afrikanisch-Asiatische Studentenförderung. Jahrbuch 1997.Göttingen. S.125-136.
Ausländische Studenten in Deutschland. Hrsg. Afrika-nisch-Asiatische Studentenförderung. Jahrbuch 1998. Göt-tingen. S. 15-26.
Islam und andere Religionen. In: Meine Welt. Zeitschrift zur Forderung des Deutsch-Indischen Dialogs. Jg. 15(2).
Köln 1998. S. 3;Inder in Deutschland. In: meine Welt. Jg. 16(2). Köln 1999. S.4-6.
Migration und Migranten in Deutschland. In: Afrika Asi-en Rundbrief. Jg. 15(4). Göttingen 2000. S. 13-15;Zivilgesellschaft und Moslems in Indien. Hrsg. Afrika-nisch-Asiatische Studentenförderung. Jahrbuch 2000. Göt-tingen. S. 35-44
Afrikaner und Asiaten in Deutschland. Entwicklung, Stand und Perspektiven. Hrsg. Afrikanisch-Asiatische
Studentenförderung. Jahrbuch 2001. Göttingen. S. 1-16
Buchbesprechung: Mobilitätsstudium. Zur Attraktivität des Studienortes Deutschland in Asien. Hrsg. DAAD. In: Deutsche Zeitschrift für Politik, Wirtschaft und Kultur. Nr. 81. Hamburg 2001. S. 130-1431.
Migranten aus Afrika und Asien in Deutschland. In: Af-rika Asien Rundbrief. Jg. 16(1). Göttingen 2001. S.13-21.
Die Möglichkeiten und Chancen der Unanibehandlung im indischen Subkontinent. In: Twenty First Century Bang-ladesh. Ed. Gulam Abu Zakaria. Bangladesh Study and Development Centre. Wiehl 2001. S. 75-82- erschienen auch in bengalischer Sprache
NGOs und Berufschancen für AkademikerInnen in ihren Heimatländern. In: Afrika Asien Rundbrief. Jg. 16(4)(.Göttingen 2001. S. 21-27;Moslems im demokratischen Indien – Gegenwart und Zukunft. In: Meine Welt. . Jg. 19(1). Köln 2002. S. 4-7.
Unani, The Graeco-Arab Medicine in India. Studies in History of Medicine & Science. Vol. XVIII. No. 2. New Series. Delhi 2002.
S. 15-37.
Das Vermächtnis von HazratKhawjaMoinuddinChisti von Ajmer. In: Meine Welt. Jg. 19(2). Köln 2002. S. 18.
Unani, die griechisch-arabische Medizin in Indien. In: Meine Welt. Jg. 20(1). Köln 2003. S. 47-50.
Sufis und Sufismus in Indien. In: meine Welt. Jg. 20(2). Köln 2003. S. 44-50.
Musik in Indien – Vergangenheit und Gegenwart. In: Meine Welt. Jg. 21(2). Köln 2004. S.16-12.
Film in Indien und Bollywood: In : Meine Welt. Jg. 22(3). Köln 2005. S. 41-45.
Tanz in Indien. In: Meine Welt. Jg. 22(1). Köln 2005. S. 40-50;Malerei in Indien. In: Meine Welt. Jg. 24(1). Köln 2007. S. 36-39.
Architektur in Indien. In: Meine Welt. Jg. 25(2). Köln 2008. S. 62-68.
Buchbesprechung: Gerhard Schweizer. Der unbekannte Islam. Stuttgart 2007. In: Meine Welt. Jg. 25(1). Köln 2008. S. 31-32.
Zur Erinnerung an Frau Dr. Gosalia. In: Meine Welt. Jg. 25(1). Köln 2008. S. 17-18.
Indien und China. Begegnungen auf der Seidenstrasse. In: Meine Welt. Jg. 27(1). Köln 2011. S. 42-45.
Indische Diaspora in Afrika. In: Meine Welt. Jg. 28(2). Köln 2011. S. 51-58.
Indische Emigranten in Europa und Nordamerika. In: Meine Welt. Jg. 29(1). Köln 2012. S. 45-48.
Die Kasten- und Klassenstruktur Indiens im Umbruch. In: Meine Welt. Jg. 30(3). Köln 2013/14 .S. 45-50;Wasser als Instrument himmlischer und irdischer Macht in Indien. In: Meine Welt.
Jg. 2014(2). Köln 2014.
Our travels with our children to India. Verl., Books on Demand. Norderstedt.2021. S. 91.