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Moslems in Indien
Fast 150 Millionen Moslems leben zur Zeit in Indien, nur das Land Indonesien hat mehr Moslems. Zusammengenommen bilden sie zwei Drittel der übrigen religiösen Minderheiten (Christen, Sikhs, Buddhisten, Jainas, Bahais) Indiens. Im Bundesstaat Jammu und Kashmir verfügen sie über die Mehrheit. Über 50% von ihnen leben in den drei Bundesstaaten Uttar Pradesh, Bihar und West Bengal. Im Bundesstaat Kerala machen sie ein Drittel der dortigen Bevölkerung aus.
Die Sunniten (von Sunna, die prophetische Tradition) stellen fast 90% der indischen Moslems. Die Schiiten (Spaltung) erkennen nur den vierten und den letzten Kalifen Ali als rechtmäßigen Nachfolger des Propheten Muhammad (570-632) an. Sie leben hauptsächlich in den schiitischen Staaten des Dekkan (Ahmadnagar, Bijapur, Golconda, Hyderabad), in Uttar Pradesh (Lucknow), Bihar (Patna), Gujarat (Ahmedabad, Baroda, Surat), Maharashtra (Mumbai, Pune) und in.Kashmir. In diesen Bundesstaaten sind sie sehr bekannt als Kaufleute, die sog. Bohras, Ismailis (Khojas, Anhänger von Aga Khan) und Menons. Der Anteil der Schiiten liegt bei 10% der moslemischen Bevölkerung Indiens.
Unter den Sunniten gibt es vier Rechtsauffassungen (Scharia), die von Hanif, Hanibal, Malik und Schafi in den Jahren 750 bis 850 vorgelegt wurden. In Indien ist die Rechtsauslegung von Hanif weit verbreitet, die nicht die orthodoxe Linie der Scharia vertritt.
Der Islam kam bereits 711 durch die Eroberung von Sindh nach Indien und breitete sich durch die Ansiedlung arabischer Handelsleute am arabischen Meer und am Indusfluss entlang aus.
Die eigentliche Verbreitung des Islam erfolgte während der türkischen Sultanate (1206-1526) und anschließend während der Mogulherrschaft (1526-1757) durch Bekehrungen, Eheschließungen, Einwanderungen von Scharen von Kriegern, Handwerkern, Künstlern aus Zentralasien, aber vor allem durch die Missionstätigkeiten der Sufis bei den unteren Kasten Indiens.
Im Gegensatz zu der islamischen Lehre von der Gleichheit der Moslems untereinander (Umma) bedienten sich die moslemischen Herrscher Indiens der bereits vorhandenen Kastenstruktur zu ihren Gunsten. Sie arrangierten sich mit der oberen Kaste der Hindus, indem sie die Brahmanen (Priesterkaste) als Verwaltungsbeamte und die Kshatriya (Kriegerkaste, die Rajputen) als Militär und Landadel einsetzten. Danach teilten sie ihre Glaubensbrüder in zwei Kategorien ein, nämlich in Ashraf (Noble, Eroberer, indisch Bara Jat) und Ajlaf (untere Kaste, Chota Jat).
Zu den Oberen zählen die Syed (Priester, Nachfahren des Propheten und Kalifen), Shaikh (Adel) und die Khan (Krieger), die Nachfahren von Chengiz Khan (gest. 1227) und Timur Leng (1336-1405).
Zu den unteren Gruppen gehören die Julaha (Weber), Dhunia (Baumwollreiniger), Rangrez (Gerber), Dhobi (Wäscher), Hajam (Barbiere), Kasai (Schlächter), Kuwari (Obst- und Gemüsebauern sowie Händler), u.a. Sie haben noch eine dominante Stellung im Fisch- und Fleischhandel, die beide aus Tabugründen von Hindus nicht betrieben werden. Diese Volksgruppe der Ajlaf macht 80 bis 85% der moslemischen Bevölkerung aus. In den Dörfern leben sie heute noch getrennt von den Siedlungen der Oberen (Ashraf), tragen vielfach nur ihren Beruf als Rufnamen, pflegen teilweise noch die Gebräuche und Sitten ihrer hinduistischen Vorfahren, feiern Feste zusammen mit ihren ehemaligen Kastenangehörigen der Hindugemeinschaft. Sie durften bis vor kurzem keine Moscheen bauen, denn dies war wie bei den Hindus ausschließlich der Gruppe der Ashraf vorbehalten. Auch ihre Gräber lagen von den Friedhöfen (Qabristan) der Ashraf weit entfernt.
Nach den Beobachtungen mehrerer Autoren tragen fast 20% der Ajlaf eine gemischte Identität zwischen Islam und Hinduismus, dies ist bei den Volksgruppen der Meo (Rajputmoslems in Mewar), Rangrez (Gerber), Banjaras und Nats (Zigeuner), Rebaris (Kameltreiber), Mahawat (Elefantenreiter), Mirasis (Straßenmusiker), Fakire (Bettler) und Hijras (Sweeters) der Fall.
Was die moderne Bildung anbetrifft, distanzierte sich ein Teil der Ashraf lange von den britischen Bildungsinstitutionen und nicht selten ließen sie ihre Kinder in die Maktabs, Madrasa (Grundschulen in Urdusprache) und den theologischen Schulen von Deoband, Bareily, Lucknow (Uttar Pradesh) und Darbhanga (Bihar) ausbilden. Erst nach den Reformbewegungen des 19. Jahrhunderts, die von einigen Moslems wie Syed Ahmad Khan (1817-1898) ausgingen, kam es zu Gründungen moderner moslemischer Bildungseinrichtungen wie der Aligarh Muslim University (Uttar Pradesh), Osmania University Hyderabad (Andhra Pradesh), Jamia Millia University Delhi, die sich auch zu Zentren der Urdusprache (Wortschatz zu 60% persisch, arabisch, türkisch und zu 40% Sanskrit) entwickelten. Die Urdusprache wurde vornehmlich von den Ashraf gesprochen. Die Masse der moslemischen Bevölkerung sprach hauptsächlich die örtlichen Dialekte und Regionalsprachen. Es war eben die Urdu sprechende gebildete Schicht, die die „Zwei Nationen Theorie“ zur Schaffung des Staates Pakistan beitrug und nach der Teilung Indiens 1947 zur Übernahme der politischen und wirtschaftlichen Macht nach Pakistan ging, also die Familien der Feudalen (Zamindars, Nawabs, Rajas) sowie der Industriellen (Isphanis, Adamjis, Habibs), der Bürokraten des Indian Administrative Service (IAS) und des Indian Police Service (PIS) und die Absolventen der o. g. Universitäten. In Indien blieben hauptsächlich die moslemischen Kleinbauern und Handwerker, die weder in Indien etwas zu verlieren noch in Pakistan etwas zu gewinnen hatten.
Als politischer Rückhalt der indischen Moslems blieb lediglich eine kleinere elitäre Bildungsschicht der nationalistischen Freiheitskämpfer um Abul Kalam Azad, Zakir Hussain, Rafi Ahmad Kidwai und Maulana Madani, um nur die Bedeutendsten zu nennen, zurück, die zusammen mit Mahatma Gandhi und Jawaharlal Nehru für ein ungeteiltes und säkulares Indien gekämpft hatten.
Aufgrund von Führungslosigkeit und der wirtschaftspolitischen Schwäche der moslemischen Bevölkerung Indiens entwickelten sich unter ihnen neue sozio-ökonomische Strukturen und Anpassungsmechanismen. Beispielsweise wurde die untere Schicht der moslemischen Bevölkerung von der alten Knechtschaft der Ashraf befreit, die ja nach Pakistan emigriert waren.
Die Industrialisierung und Urbanisierung trieb diese landlose Schicht der Ajlafs, die Weber (Julaha), Gerber (Rangrez), Sticker (Zariwala), Messingverarbeiter, Teppichknüpfer (Kariger), Glasschmuckhersteller (Churihara), Bäcker (Nanbhai), Heimfacharbeiter (Mistry), Wäscher (Dhobi) usw. in die Städte. In einigen Industriestädten liegt ihr Bevölkerungsanteil bei heute bis zu 30%. Die Klasse der Ajlaf, die früher ausschließlich als Lohnarbeiter für die Banias und Marwaris (Händlerkaste) arbeitete, betreibt heute eigene Geschäfte wie in Ahmedabad, Bhiwandi (Textilwaren), Aligarh (Schlossereien), Varanasi (Gerbereien, Sarimanufakturen, Stickereien), in Jaipur (Diamantenschleifereien), in Kanpur(Lederwaren), Moradabad (Herstellung von Messingwaren), Meerut (Möbelherstellung), Surat (Kunstseidenproduktion). Die Entstehung einer breiteren Mittelschicht in Indien und die Nachfrage nach handwerklichen Produkten im Ausland tragen zum Wohlstand dieser Schicht in zunehmendem Maße bei. In diesen hier erwähnten Städten sind in den achtziger und neunziger Jahren des vorigen Jahrhunderts zahlreiche Unruhen mit vielen Plünderungen und Toten entstanden, die von radikalen Hindus initiiert wurden, um den Aufstieg und die Konkurrenz der Moslems zu unterbinden.
Diese werktätige Klasse, die seit Jahrhunderten von der moslemischen Elite auch von den einfachen Bildungseinrichtungen ferngehalten worden war, besucht heute die Schulen und aufgrund ihres gestiegenen Einkommens sogar die höheren Bildungseinrichtungen Indiens. Man hat am Anfang dieses Jahrhunderts festgestellt, dass ihre Zahl an den Universitäten als Studierende weit über die der oberen Klasse der Moslems hinausgeht. Infolge ihrer Aufklärung und Bildung wählen sie inzwischen die Kandidaten und Parteien der unteren Kaste von Bahu Samaj, Samaj Wadi, Janata Dal im Verbund mit der unteren Kaste der Hindugemeinschaft. Diese Ajlaf profitieren sehr als Angehörige der „Backward Castes“ (rückständigen Kasten) und von den für sie vorgesehenen Stellenkontingentierungen im öffentlichen Dienst und in politischen Ämtern. Daher sind sie in den Landes Landes und Bundesparlamenten zahlreicher vertreten als die Ashraf. Wie die Erfahrungen mit den bisherigen Wahlen zeigen, kann keine Partei ohne die Stimmen der Backward Castes über eine absolute Mehrheit in Indiens Parlamenten verfügen.
Die Bevölkerungsgruppe der Ashraf (Syed, Shaikh und Khan) ist der Hauptverlierer der Teilung Indiens. Infolge der Landreform verlor sie auch ihren angestammten Landbesitz und ebenfalls ihre bisherige wirtschaftspolitische Position, da man sie für die Teilung Indiens verantwortlich machte. Darüber hinaus verfügte sie kaum über eine moderne Ausbildung und war nicht mehr bereit, handwerklichen Tätigkeiten nachzugehen. Inzwischen hat aber auch diese Schicht aus der Not vieles gelernt, geht moderner Bildung nach und ergreift solche Berufe, die bisher bei ihnen verpönt waren. Diese Entwicklung geht auf die wirtschaftliche Entwicklung in Südindien zurück. Die dortigen moslemischen Geschäftsleute von Bohras, Khojas, Chillias, Mappilas, Labbais haben zahlreiche Unternehmen und moderne naturwissenschaftliche Bildungseinrichtungen in Banglore, Cochin, Gulberga, Hyderabad und Chennai gegründet, die die Ashraf, insbesondere aus Nordindien anziehen, in der Annahme, dort eine bessere Bildung und Berufsperspektiven zu finden als im konfliktreichen und rückständigen Norden. Infolge der rasanten ökonomischen Entwicklung in den letzten Jahren in Nordindien öffnen sich auch dort die Arbeitsmöglichkeiten für die Moslems insgesamt. Zur Zeit leben und arbeiten über vier Millionen Moslems - sowohl Ajlaf als auch Ashraf - allein in Delhi und Umgebung, z. B. Noida und Faridabad.
Zur Verbesserung der Lage der moslemischen Bevölkerung Indiens haben auch die Petrodollarländer beigetragen, die die Moslems bei der Stellenbesetzung heranziehen. Die Mehrheit der in den Golfstaaten beschäftigten Inder kommt aus dem ehemaligen Herrschaftsgebiet des Nizam von Hyderabad und dem Bundesstaat Kerala. Der Nizam beschäftigte in seiner Armee bis zur Auflösung seines Fürstenstaates 1948 eine Menge Araber, insbesondere aus Saudi-Arabien, Siddi genannt. Aus Dankbarkeit stellten die Saudis die Hyderabadis in großer Zahl als Arbeiter, Angestellte und Hausmädchen ein. Auch aufgrund der seit Jahrhunderten existierenden Geschäftsbeziehungen zwischen der Malabarküste und den Golfstaaten wurden die Menschen aus Kerala in dieser Region als Arbeitskräfte vorgezogen.
Allerdings lernten die moslemischen Gastarbeiter die autoritären und unmenschlichen Strukturen dieser Länder kennen und dies trug bei ihnen zur Hochschätzung der freiheitlichen demokratischen Ordnung ihres Heimatlandes Indien bei. Darüber hinaus bleibt ihnen das leidvolle Schicksal der indischen Moslems (Mujahir) in Pakistan nicht verborgen und sie wissen, in welchem Maße das Land unter der Herrschaft der Diktatoren und Islamisten wirtschaftlich rückständig und politisch gefährlich geworden ist. Daher fühlen sich die Moslems in Indien als Minderheit besser aufgehoben als in Pakistan oder in irgendeinem anderen autoritären islamischen Staat der Welt. Aus der eigenen Erfahrung der Teilung Indiens unterstützen sie auch nicht mehr die Bestrebung der Kashmiris, sich Pakistan anzuschließen. Wie in Indien beobachtet wurde, blieb die moslemische Bevölkerung bei der Sympathiekundgebung für die Taliban in Afghanistan äußerst zurückhaltend. Die Moslemin Shahbana Azmi, eine berühmte Schauspielerin und Bundestagsabgeordnete, kritisierte öffentlich scharf den Imam von Juma Masjid in Delhi wegen dessen Aufruf zur Unterstützung der Taliban. Sie forderte den Imam auf, nicht im Namen der Moslems in Indien zu sprechen und fügte hinzu, er solle selbst nach Kandahar (Afghanistan) fahren und sich den Taliban anschließen. Eine Rede solcher Art gegen den größten Imam Indiens, gehalten von einer Frau, wäre in keinem der überwiegend islamischen Länder denkbar. Es waren auch zum ersten Mal die indischen Moslems, die 1999 an dem Zustandekommen der Einladung von Salman Rushdie und Taslima Nasrin nach Indien entscheidend mitwirkten. Shahbana Azmi nahm sogar Taslima Nasrin bei sich zu Hause als Gast auf. Taslima Nasrin trat in ihrer Heimat Bangladesh für die Gleichberechtigung der Frauen ein. Von moslemischen Extremisten mit dem Tode bedroht, war sie 1994 gezwungen, aus ihrem Land zu fliehen.
Der Grund zur toleranten Haltung bei der Mehrheit der indischen Moslems liegt darin, dass sie seit Jahrhunderten in einer multikulturellen Gesellschaft leben, in der Tempel, Moscheen, Kirchen und Gurduwaras (Gebetshäuser von Sikhs) nebeneinander existieren. Die Frau, die eine Burka (Schleier) trägt, der bärtige Mann mit dem Turban, die Bhajan (Gebetsgesänge) in den Tempeln und die Rufe der Muezzins gehören zum alltäglichen Bild in Indien. In einer multikulturellen Gesellschaft haben sie gelernt, sich gegenseitig zu respektieren, im Gegensatz zu den Ländern in denen seit Jahrhunderten nur eine religiöse Gruppe in der Mehrheit lebt.
Die Akzeptanz anderer Anschauungen ist auch darin begründet, dass Indien während der moslemischen Herrschaft kein theokratischer Staat war und dort nicht nach der Scharia, sondern vielfach nach dem altindischen Gewohnheitsrecht regiert wurde. Der letzte Mogulkaiser Aurangzeb (1658-1707), ein orthodoxer Sunnit, der bestrebt war, die Scharia einzuführen, blieb in Indien eine Ausnahme. Abgesehen von den Ulemas (islamische Gelehrte bei Hofe) besaß die Masse der Mullahs einen untergeordneten Platz in der sozialen Hierarchie der moslemischen Gesellschaft. Die Mullahs lebten von Almosen (Zakat) und den Gaben der Reichen, und dies ist auch heute noch so geblieben.
Zusammenfassend kann gesagt werden, dass im Laufe der Jahre die demokratische Verfassung Indiens zur politischen Partizipation und wirtschaftlichen Entwicklung der Moslems insgesamt viel beigetragen hat. Auch die Moslems in Indien haben es verstanden, die Möglichkeiten zur ihrer wirtschaftspolitischen Entwicklung im demokratischen Indien wahrzunehmen. Darin liegt eine große Chance zum harmonischen Zusammenleben aller Völker und eine dauerhafte Perspektive zum Frieden und Fortschritt in Indien.
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Literatur:
Hasnain, N., Hindu – Muslim Relations. Delhi 1997
Javed, Arifa Kulsoom. Muslim Society in Transition
Kaifi, A. Khaliq. Kasten- und Klassenstruktur Indiens. In. Wider den Zeitgeist. Univ. Oldenburg. 1996; Zivilgesellschaft und Moslems in Indien. In: Jahrbuch 2000. Hrsg. Afrikanisch-Asiatische Studentenfördeung. Frankfurt/M., 2000
Khalidi, Omar. Indian Muslims since Independence. New Delhi 1998
Khan, Maulana Wahiuddin. Indian Muslims. New Delhi 1994
Matin. Abdul. Muslims in India and Abroad. New Delhi 1994
Mohammad, Noor. Indian Muslims. New Delhi 1999